Vor einiger Zeit fragte mich ein guter Freund, ob meine Geschichten viel Autobiografisches enthielten. Ich habe eine Weile überlegt und dann geantwortet, dass da immer mal einzelne Szenen auftauchen. Im Allgemeinen führen meine Protagonisten aber ein Eigenleben.
So wird es auch Katja, meiner Heldin im »fast fertigen« Roman »Halbes Haus und ganzes Glück« ergehen. Wem der Titel irgendwie bekannt vor kommt, der irrt sich nicht. Er ist angelehnt an »Altes Haus und neues Glück«. Dessen Protagonistin spielt im neune Buch eine Nebenrolle. Keine Angst, es wird kein Fortsetzungsroman, sondern ein eigenständiges Werk.
Leserinnen von »Altes Haus und neues Glück« erinnern sich vielleicht, dass Alexandra, um die es in dieser Geschichte geht, ein Fan des Buches »Vom Kochen und Leben in märkischen Gutshäusern« ist. Das haben wir gemeinsam.
Vor Kurzem war ich auf einer Veranstaltung der Kunstfreunde Pritzwalk. Dort habe ich einen der Verfasser des oben genannten Werkes getroffen und mir gleich ein Autogramm von Bernhard von Barsewisch geholt. Noch während der Autor unterschrieb, war mir klar: Diese Szene wird garantiert in meinem neuen Roman auftauchen!
Das Buch findet ihr auf https://www.amazon.de/Vom-Kochen-Leben-m%C3%A4rkischen-Gutsh%C3%A4usern/dp/3939629391/
Schreibplantage
Die Autorenseite von Cornelia Wriedt
Montag, 15. April 2019
Montag, 25. März 2019
Ist "mit der Hand" schreiben noch zeitgemäß?
Wenn man Bücher schreibt, dann sitzt man heutzutage meistens
am Computer. Für Autoren gibt es inzwischen viele Programme, die in ihren
Funktionen weit mehr können, als die allgemein bekannten Schreibprogramme. Man
kann plotten, Zeitstrahlen erstellen, Figurendatenbanken anlegen, sich Synonyme
anzeigen lassen und und und... Der Rechner ist das Arbeitsmittel
schlechthin. Da schmerzt selbst nach
2000 Wörter kein Handgelenk. Alles ist korrigierbar, kopierbar und austauschbar.
Wie praktisch und schnell das geht! Wer schreibt denn da noch mit der Hand?
Nachrichten werden per WhatsApp verschickt. Oder man sendet lieber gleich
lustige Katzenvideos, um Kontakt mit seinen Freunden zu halten. Selbst die
Einkaufszettel hat man jetzt schon im Smartphone. So scheint das Schreiben, wie
wir es ursprünglich gelernt haben, eine aussterbende Kunst zu sein.
Wird das jetzt ein Abgesang auf das Schönschreiben und die
wundervollen Geräte, die man dazu braucht? Wer das erwartet, liegt falsch!
Tagebücher werden immer noch per Hand geschrieben. Für Glücks- und
Erfolgstagebücher wählt man sogar besonders schöne Schreibgeräte aus, denn so
kann man die wertvollen Momente im Leben wirklich würdigen. Kaum jemand freut
sich über einen ausgedruckten Geburtstagsgruß. Wer eine Karte mit der Hand
schreibt, der hat sich Zeit genommen und Mühe gemacht. Die Handschrift ist
individuell und persönlich, der Drucker nur ein austauschbares Gerät.
Es wird so viel über Achtsamkeit geredet. Mit
einem Füller zu schreiben, heißt achtsam schreiben. Es gibt kein Zurück, wenn
man sich verschreibt. Ein Bogen oder Haken zu viel lässt sich nicht einfach
löschen. Einen Strich zu wenig kann man vielleicht noch einfügen. Aber die
Korrektur wird auffallen. Wer mit der Hand schreibt, muss ganz bei der Sache sein.
Und das sind wir in unserem hektischen Alltag viel zu selten. Es tut uns und
unserer Seele gut, ab und zu einmal einen schönen Stift in die Hand zu nehmen,
und unsere Gedanken aufs Papier zu bringen.
Und überhaupt: Es ist wohl nicht schwer, zu entscheiden,
welche Variante eher überzeugt!
Ich liebe
Dich!
oder
Mein Dank gilt Cleo Schreibgeräte aus Bad Wilsnack, die mich in diesem Jahr als regionalen Autor mit auf die Leipziger Buchmesse genommen haben.
Freitag, 9. November 2018
HH - Haiku im Herbst
Mir ist in dieser Woche tatsächlich mal wieder danach Haikus zu schreiben.
Wer noch nie davon gehört hat, hier kommt die Erklärung:
Wer noch nie davon gehört hat, hier kommt die Erklärung:
Quelle: WikipediaHaiku (jap. 俳句; Plural: Haiku, auch: Haikus) ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die heute weltweit verbreitet ist. Das (oder der) Haiku gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt.Zu den bedeutendsten Haiku-Dichtern zählen Matsuo Bashō (1644–1694), Yosa Buson (1716–1783), Kobayashi Issa (1763–1827) und Masaoka Shiki (1867–1902). Bashō erneuerte mit seinen Schülern die Haikai-Dichtung und ermöglichte ihr die Anerkennung als ernsthafte Literatur. Shiki gilt als Begründer des modernen Haiku. Er war es, der den Begriff Haiku prägte (gegenüber dem älteren Haikai oder Hokku).Japanische Haiku bestehen meistens aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten (Moren), wobei die Wörter in den Wortgruppen vertikal aneinandergereiht werden. Es gibt jedoch kritische Stimmen über die Verteilung von Silben wie Vicente Haya[1] oder Jaime Lorente[2]. Unverzichtbarer Bestandteil von Haiku sind Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart. Vor allem traditionelle Haiku deuten mit dem Kigo eine Jahreszeit an. Als Wesensmerkmal gelten auch die nicht abgeschlossenen, offenen Texte, die sich erst im Erleben des Lesers vervollständigen. Im Text wird nicht alles gesagt, Gefühle werden nur selten benannt. Sie sollen sich erst durch die aufgeführten konkreten Dinge und den Zusammenhang erschließen.[3]
Herbst
Hell der Sonnenschein.
Farbenspiel verwirrt den Sinn.
Nichts ist für ewig.
Herbst II
Schattenspiel im Grau.
Unsteter Blick gleitet hinweg.
Die Wahrheit verschwimmt.
Freitag, 19. Oktober 2018
Altes Haus und neues Glück
Wer Lesefutter für die grauen Nebeltage und fürs Herz sucht, der findet das garantiert in der überarbeiteten Neuauflage meines Romans "Altes Haus und neues Glück".
So ganz nebenbei erfährt man noch etwas über einen relativ unbekannten Teil Deutschlands, denn das Buch trägt den Untertitel "Ein Prignitz-Roman".Dank der wunderbaren Lektorin Elsa Rieger, dem Beistand von Sibylle Godek, Ilka Hempel, Daggi Geiselmann und den fleißigen Leserinnen der Leserunde von Lovelybooks ist mein vordem etwas holpriger Erstling nun gebügelt, gestärkt und im neuen Gewand erschienen.
Man bekommt "altes Haus und neues Glück" als Taschenbuch oder E-Book im Buchhandel und auf allen gängigen Plattformen.
Hier der Link zu Amazon: https://www.amazon.de/Altes-Haus-neues-Gl%C3%BCck-Prignitz-Roman/dp/3752840463/
Und eine Leseprobe für alle Neugierigen:
Die Haustür fiel mit einem Krachen ins Schloss.
Alexandra zuckte zusammen. Sie hörte schnelle, leise Schritte, das Zufallen
einer Autotür und dann fuhr er davon.
Er fuhr. Er fuhr! Für immer?
Für immer.
Die plötzliche Stille lastete schwer auf
Alexandra. Ihre Knie wurden weich und die Beine begannen zu zittern. Damit sie
nicht umfiel, stützte sie sich an der nächstgelegenen Wand ab. Erst nur mit den
Händen, dann mit dem Rücken und schließlich rutschte sie langsam in sich
zusammen, bis sie auf dem schmutzigen Boden saß.
Ihre Gedanken überschlugen sich und sie murmelte:
»Aber das kann er doch nicht machen. Ich habe alles für ihn aufgegeben. Ich
habe alle Brücken abgebrochen. Ich wollte noch einmal komplett neu anfangen.
Ich habe alles gemacht. Seinetwegen. Nur wegen ihm bin ich überhaupt hier!«
Was sollte sie jetzt tun? Panik überfiel sie,
während sie gleichzeitig auf das Brummen eines Autos lauschte. Sicher würde
Thomas gleich zurückkommen. Sie stand langsam auf, schlurfte in Richtung Tür
und fühlte sich dabei wie eine alte Frau.
»Bloß nicht durchdrehen«, flüsterte sie mit
versagender Stimme. Alles würde sich aufklären. Ganz bestimmt. Der Streit war
nur ein fürchterliches Missverständnis gewesen. Sie klammerte sich verzweifelt
an diese Vorstellung, wenngleich ihre Hoffnung mit jeder Sekunde des Wartens
schwand. Die Zeit verrann.
Verlassen und hilflos stand sie da, inmitten von
grauen Umzugskartons, bunten Kisten und dem alten Hausrat, der einmal einer
gewissen Frau Elsa gehört hatte. Bei dem alten Zeugs stand ein Spiegel und
Alexandra schaute zufällig hinein. Sie sah eine kleine, nicht mehr ganz junge
Person mit kurzen blonden Haaren. Sie krümmte sich, schlug die Hände vors
Gesicht und schüttelte fassungslos den Kopf. In den folgenden Minuten schien
sie buchstäblich zu schrumpfen.
Einige der Gespräche, die sie in den letzten
Wochen geführt hatte, kamen ihr in den Sinn. Wortfetzen, Satzfragmente aus den
Unterhaltungen mit Freundinnen und Bekannten. Fast alle hatten mit
verständnisloser Miene gemahnt: Sag hinterher nicht, wir haben dich nicht
gewarnt.
Aber wer wollte so was schon hören! Sie jedenfalls
nicht.
Und was hatte Thomas Mal für Mal gesagt? »Stell
dir vor, wie schön das wird – nur wir zwei – auf dem Land – ich besitze einige
Ersparnisse – davon können wir leben.« Alexandras Gegenargumente waren von
Anfang an recht schwach gewesen. Dass sie keine Ahnung vom Landleben hätte, dass
ihr die Stadt und all das Drumherum fehlen würden. Dass sie beide sich noch
nicht so lange kannten. Aber eigentlich spielte das alles keine Rolle. Daher
verstummten ihre Einwände mit der Zeit. Die Hauptsache war doch, sie würde mit
ihm zusammen sein. Das war ihr lang gehegter Traum! Und der sollte nun endlich
Wirklichkeit werden. Ihr Leben war perfekt! Thomas war ihr Seelenverwandter,
auf den sie so lange gewartet hatte. Da war es egal, ob man sich Wochen oder
Jahre kannte. Er hatte ihre Zweifel bis vor Kurzem einfach weggeküsst und sie
in die Arme genommen. Wenn sie verabredet waren, sagte er Alexandra all die Sachen,
die sie so gern hörte und ewig nicht mehr gehört hatte. Schon lange hatte sie
sich nach einer festen Beziehung gesehnt und war es leid, dass die Zeit verging
und kein Mann an ihrer Seite war. Natürlich gab es immer wieder irgendwelche
Abenteuer, aber da war nichts für die Dauer darunter gewesen. Sie wollte
vertrauen und sich auch einmal fallen lassen. Die Starke und Taffe hatte sie
lang genug gespielt. Hatte sie nach außen hin geben müssen. Und das fiel ihr
nicht leicht, denn sie sehnte sich danach, sich auch mal an jemanden anlehnen zu
dürfen und nach Geborgenheit. Das hatte kaum irgendwer gewusst, denn diese
Sehnsucht stak gut verborgen tief in ihr drin.
Bis sie Thomas kennengelernt hatte. Der war genau
der Mann, der wusste, wo es langging. Es war einfach himmlisch mit ihm. Er
hatte Unternehmungsgeist und Schwung. Für ihn war das ganze Leben ein
aufregendes Abenteuer. Das tat ihr gut und sie hatte sich mühelos von seiner
Begeisterung anstecken lassen. Und nun war sie hier gelandet.
Freitag, 3. August 2018
Von Messern, Stöcken und (gar nicht so) zarten Fäusten
Mein Trainingstagebuch der 5. Frauenkampfkunstwoche 2018 beim Reit- und Erlebnishof Preddöhl
Die Kampfkunst ist zum Glück schon lange
keine Männerdomäne mehr. Es gibt viele Frauen die Spaß und Freude daran haben.
Inzwischen können alle, die Lust darauf haben, die unterschiedlichsten Stile
der Kampftechniken erlernen. Die unterscheiden sich in einigen Aspekten relativ
stark und haben doch viele Gemeinsamkeiten.
Eine perfekte Möglichkeit mal über den Tellerrand der eigenen
Trainingseinheiten hinauszuschauen, ist die Frauenkampfkunstwoche in Preddöhl.
In diesem Jahr trafen sich zum 5. Mal mehr als 50 Teilnehmerinnen um
miteinander zu trainieren und voneinander zu lernen. Sie waren aus ganz Deutschland
und halb Europa angereist. Den weitesten Weg hatte wohl die Aikido-Trainerin,
die aus Finnland kam. Für eine Woche fand sich in der Prignitz eine bunt
gemischte Truppe von Frauen und Mädchen zusammen, die in Kampfstil, Größe,
Alter und Erfahrungen eine ziemliche Bandbreite abdeckten. Und ich war eine von
ihnen. (Verhältnismäßig klein, nicht mehr jung und mit Erfahrungen im Shuri Ryu
Karate, die sich als nicht besonders fortgeschritten bezeichnen lassen, wie man
an meinem grünen Gürtel erkennen kann.)
Sonntag, 22.07.2018
Der Sonntagabend beginnt mit der
obligatorischen Begrüßungsrunde im Dojo des Reit- und Erlebnishofes Preddöhl.
Ich blicke im Kreis herum und entdecke einige bekannte Gesichter. Unter ihnen
und auch bei den unbekannten Frauen überwiegen die Braun- und Schwarzgurte. Das
heißt, dass fast alle Anwesenden mehr Erfahrungen in der Kampfkunst haben.
Bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, beginnt der offizielle Teil mit den
allgemeinen Mitteilungen. Da ist viel Organisatorisches für die Übernachtungsgäste
darunter. Die wichtigste Information lautet: Nach dem Abendessen treffen wir
uns in der Turnhalle von Gerdshagen zum Begrüßungstraining
Als Trainerinnen werden in dieser Woche
vier ganz unterschiedliche Frauen agieren. Sie vertreten dabei recht
verschiedene Stile.
Für die Richtung Shuri-Ryu Karate ist
Lydia verantwortlich. Sie ist meine Sensei, bei der ich hier in Pritzwalk
trainiere, und wird uns hauptsächlich im Stockkampf unterrichten. Der ist Teil
unserer Karateform. Außerdem fungiert sie gleichzeitig als Mitglied des
Organisationskomitees.
Li aus Bonn ist Meisterin im Kungfu To'A.
das ist ein iranischer Kungfu-Stil, der sich durch vielseitige Tritte und
Trittkombinationen auszeichnet.
Jenny aus Finnland soll uns Aikikai
Aikido nahe bringen und lässt uns an dem Wissen teilhaben, das sie in Japan
erworben hat.
Birgit schwärmt für Kickboxen und
Selbstverteidigung. Als ehemalige Teamcoach für das Wado Ryu Karate
Nationalteam der Frauen bringt sie uns den Freikampf nah.
In der Turnhalle Gerdshagen angekommen
stellen wir uns gegenseitig kurz vor und erzählen welchen Stil wir erlernen.
Ich bin erstaunt und überrascht, welche bunte Mischung hier doch angetreten
ist. Von manchen Richtungen habe ich vorher noch nicht einmal den Namen gehört.
Lydia beginnt das Training mit einigen
mir bekannten Übungen aus unserem Stil. So habe ich gleich zum Einstieg ein
Erfolgserlebnis. Allerdings denke ich
mir schon, dass das nicht so bleiben wird. In dieser Überzeugung werde ich noch
bestärkt, als wir dann eine Art Spiel spielen, in dem es um das eigene Alter
ging. In zwei Gruppen sollen wir uns nach dem Alter sortieren. Die Jungen
stehen vorn und mit zunehmender Lebenserfahrung ordnet man sich weiter nach
hinten ein. Ich bin froh, dass ich nicht ganz als Letzte in unserer Reihe
stehe.
Es gab aber keine Muße, um darüber
nachzudenken, denn anschließend übernimmt Birgit das Zepter. Sie lässt uns
Schläge und Sprünge in Vorbereitung auf den Freikampf ausführen, die uns
schnell in Schwitzen bringen. Da kann ihr lautes RELAX noch so durch die Halle
donnern, ich bin in kürzester Zeit schweißgebadet.
Ich hoffe einen Moment, dass es bei Li
weniger anstrengend sein wird, werde aber sofort vom Gegenteil überzeugt.
Dehnungsübungen und Sprünge schaffen es, dass meine Hose am Körper zu kleben
beginnt. Das ist nicht besonders hilfreich, wenn man versucht, seine Beine so
hoch wie möglich zu schwingen. Während Li beim Kungfu den Eindruck mache, als
ob sie schwebe, komme ich mir eher wie ein Tanzbär vor.
Bei Jenny wird es nur scheinbar ruhiger,
denn hier ist zusätzlich noch der Kopf gefragt. Aikido sieht nur auf den ersten
Blick gelassen aus. Schritte, Drehungen und dazu noch Haltung mit
Körperspannung bringen mich fast bis an meine Grenzen. Ehrlich gesagt, bin ich
heilfroh, als das ganze Training vorbei ist. Worauf habe ich mich da nur wieder
mal eingelassen?
Montag, 23.07. 2018
Die Sonne heizt schon am frühen Morgen
gut ein. Zum Glück ist die Turnhalle in Gerdshagen ein Überbleibsel aus
DDR-Zeiten. Obwohl sie keine Klimaanlage hat, ist es noch relativ kühl darin.
Zumindest wenn man das mit den Temperaturen außerhalb der Halle vergleicht. Ich
bewundere die Frauen, die den Weg von Preddöhl per Fahrrad auf sich nehmen. Da
wäre ich schon bei der Ankunft das erste Mal fix und fertig.
Es bleibt nicht viel Zeit zum Rumwundern,
denn Lydia beginnt pünktlich mit dem Training. Schon beim Aufwärmen kommen die
Arnis-Stöcke zum Einsatz. Ich fühle mich noch ganz gut, denn diese Sachen sind
mir ja bekannt. Natürlich steigern sich die Anforderungen und als wir uns als
Gruppe in Anfänger und Fortgeschrittene teilen sollen. Gehe ich lieber zu den
Neulingen. Ein bisschen neidisch schaue ich zu meinen Dojo-Kolleginnen, aber
ich kenne meine Schwachstellen und lasse die Experten lieber unter sich. Ich
habe auch in dieser Gruppe genug zu tun, um die gestellten Aufgaben zu
bewältigen. Ab und zu kann ich mal nach rechts und links einen Ratschlag geben.
Das schmeichelt meinem Ego.
Nach einer kurzen Pause ist Li an der
Reihe. Nach ihrer Erwärmung wissen wir endgültig, was Schwitzen ist. Nicht,
dass wir in uns der vorigen Runde ausgeruht hätten, aber da war eher der Kopf
gefordert. Jetzt ist Kondition gefordert. Beine hoch und runter, eine
ausgiebige Dehnungseinheit die an Yoga erinnert – und schon bin ich klatschnass
geschwitzt. Die Kommandos werden teilweise in Deutsch und manchmal auch in
Englisch gegeben. Dann geht es paarweise weiter und ich erwische zum Glück
jemanden aus meinem Pritzwalker Kurs. Da kann ich notfalls etwas Rücksicht
einfordern, denn meine Partnerin kennt mich und weiß, dass sie das Schlagkissen
nicht zu hoch halten braucht. Immerhin bekomme ich einen einigermaßen
anständigen Mawashi oder Roundhouse-Kick, wie er bei Li heißt, hin. Dann sollen
wir zusätzlich springen und uns drehen. Und alles in Kombination. Kick, Sprung,
Kick, Drehung, Kick. Oder anders herum? Ich bin leicht überfordert. Mir läuft
das Wasser am Körper herunter. Die Hose klebt wieder an den Beinen und mir wird
langsam klar, warum man Kickboxen in kurzen Hosen macht. Als ich mich umblicke,
um zu verschnaufen, stelle ich fest, dass es etlichen anderen auch nicht besser
geht. Einige steigen sogar schon aus. Ich halte gerade so bei der Stange und
bin heilfroh, als es ans Dehnen geht.
Nach der Mittagspause übernimmt Jenny mit
Aikido das Kommando. Allerdings erfolgen alle Anleitungen auf Englisch. Auch
hier erinnert die Erwärmung stark an Yoga. Zwischendurch gibt es noch etwas,
was an Tanzschritte erinnert. Es sieht elegant und mühelos aus, aber irgendwie
will es mir nicht so recht gelingen alles nachzumachen. Die Ausführung der
scheinbar leichten Bewegungen ist kompliziert. Irgendwie bin ich mit rechts und
links überfordert. Liegt es am Wetter, daran, dass es die dritte Einheit am
heutigen Tag ist oder bin ich einfach zu blöd? Wieder einmal schiele ich zu den
anderen Mitstreiterinnen. Manch einer geht es ähnlich wie mir. Das tröstet
mich. Und so freue ich mich an der Eleganz von Jennys Bewegungen während ihrer
Erklärungen. Es sieht so spielerisch leicht aus, was sie macht. Ich habe nicht
allein diesen Eindruck, denn ein bewunderndes Raunen geht durch die Halle, als
sie eine unerwartete Drehung mit einem perfekten Block kombiniert.
Die Übungseinheit vier verspricht
Freikampf. Ich fühle mich total erschöpft und möchte am liebsten schwänzen.
Aber dann packt mich der Ehrgeiz und ich bleibe. Weil es schon spät ist und wir
alle im wahrsten Sinne des Wortes etwas abgekämpft aussehen, nimmt Trainerin
Birgit auf uns Rücksicht. Sie meint wir würden es etwas langsam angehen. Und
schon dröhnt ihr RELAX durch die Halle. Eins, zwei und drei zu zählen, sollte
eigentlich kein Problem sein. Doch auch das stellt sich als kompliziert heraus.
Eins vor und eins zurück ist noch logisch. Zwei vor und eins zurück wird schon
schwerer. Drei vor und eins zurück erweist sich schon ohne Technik als
kompliziert. Als ich es mit einem Fauststoß kombinieren soll, habe ich das
Gefühl, dass ich nicht mehr bis drei zählen kann. Köper und Geist geraten an
ihre Grenzen und ich bin wieder klatschnass geschwitzt. Was für eine Erholung
ist da sie gegenseitige Schüttelmassage, die den Abschluss bildet.
Dienstag, 24.07.2018
Ich habe an diesem Morgen das Qigong
angeleitet und komme daher total entspannt in der Halle an. Jenny beginnt das
Aikido mit ihrer genialen Erwärmung. Diesmal wird auch die Stimme eingesetzt
und die ganze Halle vibriert von unseren Schreien. Dann geht es weiter mit
Rechts-Links-Übungen. Die morgendliche Entspannung weicht und es klappt leider
nicht viel besser als am Vortag. Jenny hat Geduld und erklärt immer wieder, was
wir machen sollen. Ich übe beharrlich und tatsächlich funktioniert es ab und
zu.
Nach der Pause steht Freikampf auf dem
Programm. Schon die Erwärmung ist schweißtreibend. Die Temperaturen außerhalb
der Halle sind wieder auf 30 Grad geklettert. Innen ist es vielleicht etwas
kühler, aber nach kurzer Zeit klebt mir schon wieder die Hose an den Beinen.
Partnerübungen werden angesagt. Natürlich wird auch rechts und links wieder
gefordert. Ständig neue Partnerinnen sollen uns an wechselnde Situationen
gewöhnen. Ich sehe ja den Sinn dahinter ein, gerate aber mehrmals an
Schwarzgurte der verschiedenen Stile. Da denke ich so bei mir, dass die sich
freuen werden, wenn ich mehr Angst als Kampfgeist zeige. Aber alle beweisen
erstaunlich viel Geduld. Und so lerne ich einige Sachen, von denen ich hoffe,
dass ich sie auch behalte. Schau an, der ungeliebte Freikampf kann sogar Spaß
machen. Trotzdem bin ich froh, als die Mittagspause heran ist.
Lydia übernimmt das Kommando nach dem
Mittag. Doch zuerst wollen wir ein Erinnerungsfoto machen. Das hört sich
leichter an, als es getan ist. Wegen der Sache mit dem Datenschutz muss man auf
Nummer sicher gehen, dass auch alle einverstanden sind, um die Bilder
veröffentlichen zu können. Als dann endlich klar ist, dass alle die Erklärung
unterschrieben haben, stellen wir uns zur Fotosession auf. Danach beginnt aber
das Training. Heute stehen keine Stöcke auf dem Programm, sondern Teile aus
einer Katta. Das ist eine vorgeschriebene Abfolge von Bewegungen, die wir je
nach Gurtfarbe erlernen. Über die Wunshu bin ich ja eigentlich hinaus. Das
bedeutet aber auch, dass ich sie lange nicht gemacht habe. Genau wie bei allem
anderen ist es auch bei einer Katta so, dass wenn man sie nicht übt, sie
langsam in Vergessenheit gerät. Als Lydia auffordert, dass sich diejenigen, die
sie kennen, sich melden, zögere ich und hebe nur ganz vorsichtig meinen Arm.
Erst als ihr auffordernder Blick mich streift, recke ich ihn nach oben. Wir
bekommen eine Partnerin, aus einem anderen Stil und sollen mit ihr üben.
Allerdings ist das Ganze als Zweierübung ausgelegt. Darauf bin ich gar nicht
eingerichtet und somit reichlich verwirrt. Zum Glück stehen die Frauen aus
meinem Dojo in der Nähe. Kurz entschlossen bauen wir uns nebeneinander auf und
versuchen unser Bestes. Es ist nicht einfach. Einerseits muss ich schauen, was
meine Mitstreiterinnen machen und anderseits habe ich ja noch die Partnerin aus
dem anderen Stil, mit der ich arbeiten soll. Manchmal scheitert es schon an den
Kleinigkeiten. Allein die Stände heißen unterschiedlich. Das gilt auch für die
Tritte und die Blöcke. Trotzdem finden wir zueinander und üben beständig. Dabei
geht die Zeit schnell vorbei. Zum Abschluss sollen drei unserer Berliner
Braungurte die ganze Katta vorzeigen. Meine Übungspartnerin zeigt sich
beeindruckt.
Nach einer kleinen Stärkung mit Kaffee
und Keksen hat Li wieder das Sagen. Sie jagt uns durch die Halle, dass der
Schweiß in Strömen fließt. Dann fragt sie auch noch, ob wir schon warm sind.
Ein kollektives Schnaufen bestätigt das. Also gehen wir zum Dehnen über.
Dehnen, dehnen und nochmals dehnen. Dann kommen Tritte an die Reihe. Einige der
Namen sind mir bekannt, andere nicht. Zumindest weiß ich, was von mir erwartet
wird, auch wenn ich es nicht immer so hinbekomme, wie ich es gern hätte. Wir
bilden Dreiergruppen und machen Stand- und Stabilisationsübungen. Dann gehen
wir zu Partnerübungen mit Schlagkissen über. Es werden Tritte mit Sprung und
mit Drehung geübt. Meine Partnerin bringt mich schon mal ganz schön aus dem
Gleichgewicht. Aber ich kenne sie und ihre Art, daher kann ich damit umgehen
und bin nicht sauer. Dafür genieße ich die abschließende Shihatsu-Massage auf
der Wiese doppelt.
Mittwoch, 25.07.2018
Es geht los mit Freikampf. Trainerin
Birgit lässt ihr unnachahmliches RELAX durch die Halle schallen. Manchmal hängt
sie aus Übermut noch eine Schlagkombination mit einem kräftigen BUH hintendran.
Wir sind begeistert über so viel Power. Zu Beginn gibt es eine wilde Erwärmung
mit Drehungen und Tritten. Dann sollen wir das Bein auf die Schulter einer
Partnerin legen. Das hört sich schlimmer an, als es ist, denn ich finde mich
schon nach drei Tagen erstaunlich beweglich. Außerdem gehen wir relativ
vorsichtig miteinander um. Keine will unbedingt beweisen, dass sie mehr drauf
hat, als die Mitstreiterinnen. Das ist einer der Gründe, warum ich am liebsten
mit Frauen trainiere. Allerdings bin ich der Frau, der ich bei dieser Übung
gegenüberstehe, wohl doch zu klein. Wir wechseln zu Jenny, die bisher jedes
Training der Kolleginnen mitgemacht hat. Sie ist viel größer als ich und hat
ebenfalls eine kleinere Partnerin. Um den Tausch zu begründen, sage ich, dass
ich "to small" bin. Sie schaut auf mich herunter und grinst:
"You are perfect." Na das ist mal eine Ansage! Ich glaube, ich bekomme
mein Bein gleich zehn Zentimeter höher als sonst. Dann geht es ans Eingemachte.
Wir üben die Sequenz von gestern und erweitern sie um einige Nuancen. Hatte ich
erwähnt, dass ich Freikampf nicht mag? Jedenfalls habe ich so viel Spaß, dass
ich manchmal lachend durch die Halle hüpfe. Das liegt unter anderem auch daran,
dass ich mich über mich selbst amüsiere. Es ist schon erstaunlich, wie oft man
rechts und links verwechseln kann, auch wenn man jeweils nur zwei Arme und
Beine hat. Eigentlich war hüpfen bei mir in der letzten Zeit nicht so sehr
angesagt. Jetzt macht es mir nichts mehr aus. Schon nach zwei Tagen intensiven
Trainings scheint mein Körper dehnbarer und auch irgendwie kräftiger.
Erstaunlich. Schade, dass an diesem Nachmittag kein Training ist. Mir wird
direkt was fehlen.
Nach der Pause steht aber erst einmal
Aikido an. Ohne Frage bringt uns Jenny sofort wieder zum Schwitzen. Vor allem
die Dehnung hat es in sich. Doch während ich die Zähne zusammen beiße, denke
ich, dass man solche Übungen viel öfter machen sollte. Leider kenne ich meinen
inneren Schweinehund und so wird daraus sicher nichts werden. Beim Üben bauen
wir auf das schon Gelernte auf. In ihrer unnachahmlichen Art erklärt Jenny uns,
was sie von uns erwartet. Das Ganze ist auf Englisch, aber meine
Sprachkenntnisse reichen. Ich glaube, auch wenn man kein Wort verstehen würde,
begreift man, worum es geht. Irgendwann kommen dann Würfe an die Reihe. Während
ich zuerst noch denke, dass ich mich davor dann doch drücken werde, kullere ich
kurze Zeit später über den Hallenboden. Erstaunlicherweise habe ich auch
hierbei Spaß. Die ganze Trainingseinheit endet mit einer Sequenz Dehnung, die
es in sich hat. Bei einer rechts seltsamen Pose fragt Jenny, wie man diese denn
nennen könne. Alle sind sich einig und stöhnen gemeinsam FROG. Trotzdem grinsen
wir.
Der Nachmittag ist, wie schon erwähnt
frei. Man kann Baden, Reiten, Relaxen. Jede mag das tun, was ihr gefällt. Auch
mal schön.
Donnerstag, 26.07.2018
Das erste Training übernimmt Li. Das
heißt: Tritte, Tritte, Tritte. Aber was ist nur los mit mir? Gestern habe ich
mich noch gefühlt, als könnte ich Bäume ausreißen. Und heute? Anstatt zu
hüpfen, schlurfe ich über den Boden und bin schon nach wenigen Minuten
schweißnass, ohne wirklich viel getan zu haben. Natürlich ist es draußen
unheimlich warm. Aber das kann es nicht allein sein. War die Pause am gestrigen
Nachmittag kontraproduktiv? Während ich noch darüber nachdenke, wechseln wir
zur Dehnung. Was für ein Glück. Es zwickt und zwackt zwar überall, aber wenigstens
habe ich nicht mehr das Gefühl ein nasser Waschlappen zu sein. Dann beginnen
die Partnerübungen und ich vergesse meine Befindlichkeiten und konzentriere
mich auf die Aufgaben. Wieder einmal bin ich erstaunt, wie hoch ich meine
Beinchen doch schmeißen kann. Mein Körper scheint sich besonnen zu haben.
Das Gehirn hängt allerdings immer noch im
Ruhemodus. Das merke ich peinlich berührt, als wir in der nächsten Runde mit
Lydia Stockkampf trainieren. Eigentlich sollten mir die Grundlagen aus unserem
Stil bekannt sein. Aber ich verwechsle die einfachsten Sachen und verstecke
mich wieder in der Gruppe der Anfängerinnen. Etwas traurig schaue ich zu meinen
Mitstreiterinnen bei den Fortgeschrittenen, die sich souverän auf diesem
Terrain bewegen. Aber ich halte durch und bin etwas getröstet, als ich in der
Mittagspause höre, dass auch andere Frauen Schwierigkeiten mit rechts, links,
oben, unten und dem ständigen Seitenwechsel haben. Was für ein Glück! Ich bin
nicht allein mit meinen Problemen.
Nach dem Mittag steht Freikampf auf dem
Plan. Birgit erheitert uns bei der schweißtreibenden Erwärmung mit ihren
unnachahmlichen RELAX-Rufen. Wir grinsen, aber das Wasser läuft uns schon nach
den ersten Minuten in Strömen am Körper herunter. Es wird noch schlimmer, als es
dann richtig zur Sache geht. Wir haben uns in Vierergruppen zusammengefunden.
Davon soll sich jetzt jeweils ein Paar gegenüber stehen, um sich einen Fight zu
liefern. Die anderen Beiden fungieren als Coach. Meine Gruppe nimmt das Ganze,
wie angesagt, ziemlich relaxt und so habe ich Spaß. Allerdings ist es
unheimlich warm. Alle sind klatschnass. Selbst als ich dann als Coach antrete,
spüre ich wie mir die Schweißtropfen über Gesicht und Rücken rinnen. Da kommt
mir die Pause dann mehr als nur recht.
Eine Viertelstunde ist nicht lang. Und
abgekühlt hat es sich nicht. Wie denn, wenn es draußen Hochsommer ist? Trotzdem
geht es weiter. Aikido-Trainerin Jenny erklärt uns nach der obligatorischen
Sequenz aus Erwärmung und Dehnung die heutige Aufgabe. Sie lautet: Abwehr eines
Messerangriffs. Das klingt dramatisch, ist es aber nicht, denn es handelt sich
um einen vorgeschriebenen Ablauf. Außerdem sind unsere Übungsmesser aus Holz.
Die Verletzungsgefahr ist also ziemlich gering. Allerdings bedeutet
"vorgeschriebener Ablauf", dass der Kopf einen nicht geringen Anteil
am Erfolg der Übung hat. Bei mir dauert es wieder einmal eine ganze Weile, bis
die Füße dort stehen, wo sie auch stehen sollen. Zwischendrin zeigt uns Jenny
immer wieder, wie man mit wenig Kraft und flinken Drehungen seinen Gegner zu
Fall bringen kann. Was sie so elegant vorführt, fällt den Meisten von uns nicht
ganz so leicht. Trotzdem liegen die ersten schnell auf dem Boden. Natürlich
heißt es auch hier, dass die Übung den Meister macht. Zwischendurch werden wir
immer wieder zusammen gerufen und auf mögliche Haltungsfehler aufmerksam
gemacht. Die Art in der uns Jenny das erklärt ist unnachahmlich. An ihr ist
glatt ein Pantomime verloren gegangen. Und
so haben wir trotz aller Anstrengungen noch jede Menge zu Lachen.
Freitag, 27.07.2018
Nun beginnt der letzte Trainingstag. Wie
schnell ging das denn? Uns bleibt aber keine Zeit, um Wehmut aufkommen zu
lassen. Heute werden alle Trainings kürzer und intensiver. Wir beginnen unter
Lydias Anleitung mit dem Stockkampf. Ich komme mit meiner holländischen
Partnerin gut zurecht und bin ganz stolz auf meine Fertigkeiten. Endlich
beherrsche ich die richtige Abfolge. Was für ein tolles Gefühl.
Uns bleiben fünf Minuten Pause um uns zu
dehnen und Li übernimmt das Zepter. Heute sollen wir alle drei Tritte aus den
vorangegangenen Tagen zu einer Sequenz zusammenfügen. Meine Partnerin bei
dieser Übung leitet in ihrem Stil schon seit Jahren erfolgreich eine eigene
Übungsgruppe. Das kann ja nur peinlich werden, befürchte ich. Aber es klappt
erstaunlich gut mit uns beiden. Ich mache mir keine Illusionen. Es liegt
garantiert nicht an mir, sondern an meiner geduldigen Trainingspartnerin. Von
ihr bekomme ich hilfreiche Hinweise und schaffe sogar einige gesprungene
Tritte, die nicht ganz so murklig aussehen wie am Vortag.
Nach einer kurzen Rast tönt Birgits RELAX
wieder durch die Halle. Wir streifen die Schützer über und beginnen mit dem
Freikampf. Mal greift die eine an, mal die andere. Partnerinnenwechsel. Weiter.
Wechsel. Weiter. Der Schweiß läuft. Es ist anstrengend. Trotzdem bleibt noch
Zeit um ab und zu mal über die eigene Ungeschicklichkeit zu lachen.
Aikido mit Jenny macht den Abschluss.
Körperlich fahren wir etwas herunter. Die Techniken sind nicht ganz so
schweißtreibend, aber dafür ist der Kopf mehr gefordert. Der ist inzwischen
natürlich auch nicht mehr zu Hochleistungen fähig. Trotzdem schaffen wir es,
die Bewegungsabläufe, die uns Jenny in ihrer humorigen Art vorgibt,
einigermaßen korrekt nachzustellen. So etwas wie Stolz stellt sich ein.
Und dann ist es plötzlich vorbei. Die
Zeit ist um. Kaum zu glauben wie schnell die Woche vorüber ging. Wir sitzen im
Kreis, um uns voneinander zu verabschieden. So viele unterschiedliche Frauen,
verschiedene Stile und sogar Sprachen! Wir waren uns einige Tage ganz nah –und
jetzt verstreut uns das Leben wieder in alle vier Winde. Wehmut macht sich
breit, als wir uns bei den Trainerinnen, Helfern und auch beieinander bedanken.
Vielleicht sieht man sich irgendwann und irgendwo einmal wieder. Vielleicht
aber auch nicht. Diese Tage im Juli kann uns jedoch
keiner mehr nehmen.
Freitag, 13. April 2018
Dreiklang: Drei Worte – Drei Genres (2)
Das habe ich nun davon – ich wollte ja unbedingt ein
Mitmach-Projekt!
Darum habe ich auf meiner Facebook-Seite einen Aufruf
gestartet bei dem ich jeweils 3 Begriffe suche. Bekommen habe ich diese Wörter:
Surfbrett, Achterbahn, Hasenstall, Lebewesen,
Badewanne, Birkenfeige, Werkzeuge, Sperrmüll, Autoreifen, Sonnenbrille, Sonnenstuhl,
Baguette, Rotwein, Iltisbau, Wlan-Router,
Küchenreibe,
Mein Dank geht an: Diana Richter, Birgit Geiger, Ute Dippel,
Martina Kastrati und Karin Toedtloff
Ehrlich gesagt hatte ich mit Badewanne, Werkzeuge und
Rotwein am liebsten gearbeitet.
Aber was habe ich gelost?
Achterbahn, Birkenfeige und (Haltet euch fest!) Iltisbau!
Und dabei sitzt mir heute die Zeit im Nacken und ich muss
mich beeilen, weil ich noch andere Aufgaben zu erledigen habe. Also an die Arbeit!
1. Liebesroman
Edith schloss die Tür zu der Wohnung im Dachgeschoss auf.
Ein penetranter Geruch kam ihr entgegen. Das roch ja hier wie im Iltisbau! Sie
unterdrückte den Würgereiz und stürmte zum nächsten Fenster, um es weit
aufzureißen. Aufatmend lehnte sie sich hinaus und riss erstaunt die Augen auf.
Natürlich hatte sie gewusst, dass sie sich im letzten Haus in der Straße
befand, aber mit diesem Anblick hatte sie nicht gerechnet. Ihr Blick fiel auf
einen etwa 20 Meter breiten Streifen einer wilden Wiese und danach begann der
Wald. Dort standen Tannen, die waren höher als das Fenster der
Mansardenwohnung, aus dem sie blickte. Ein Duftgemisch aus feuchter Erde, Harz
und etlichen Nuancen, die sie nicht benennen konnte, wehte zu ihr herüber. Sie
seufzte tief. Für diesen Ausblick schien es sich tatsächlich, gelohnt zu haben,
dass sie diese Behausung ohne vorherige Besichtigung gemietet hatte. "Wer
macht denn schon so was Bescheuertes?", glaubte sie, die Stimme ihrer
Mutter zu hören. "Nun dreh dich schon um und schau dir an, in was für
einer Bruchbude du gelandet bist.", höhnte es in ihrem Kopf weiter.
Energisch schüttelte Edith den Kopf, ganz so als könne sie die bösen Gedanken
vertreiben. Nach einem letzten Blick auf den Wald wandte sie sich um. Zumindest
wollte sie am Fenster stehen bleiben, bis sie sich etwas an den Gestank gewöhnt
hatte. In ihrer Panik beim Hereinkommen war sie in der Küche gelandet. Hier gab
es nur einen Herd, einen uralten Schrank, einen Tisch mit zwei Stühlen und eine
Spüle. Dort schien auch die Ursache des furchtbaren Geruchs herzukommen. Sie
wagte einen Schritt nach vorn und spähte vorsichtig in das rechte Becken.
Tatsächlich. Dort stand ein Topf mit irgendetwas Undefinierbaren, dass
anscheinend dabei, war in flauschiger Pilzform über den Rand zu wachsen. Na
wenigstens war es kein totes Tier, was da verweste, sondern nur das vergessene
Essen des Vormieters. Erleichtert wagte sie sich durch den quadratischen Flur
in das Zimmer, welches wahrscheinlich als Wohnzimmer gedacht war. Es war bis
auf eine vollkommen vertrocknete Birkenfeige leer. Auch das Minibad mit
Toilette und Dusche bot zu Glück keine weiteren unangenehmen Überraschungen.
Das Ganze war nicht toll und auf keinen Fall mit ihrer
bisherigen Wohnung zu vergleichen. Aber alles erschien ihr besser, als noch
weiter mit Max zusammen zu wohnen. Falls sie die Ärmel hochkrempelte und etwas
putzte, dann könnte sie hier die nächsten Tage gut überleben. Und wenn sie erst
einmal diesen ekligen Topf entsorgt hätte, dann würde sicher auch der Gestank
verschwinden. Immerhin konnte sie das Fenster Tag und Nacht offenlassen. Wer
bei ihr einsteigen wollte, der müsste schon ein geschickter Fassadenkletterer
sein.
Noch am Abend desselben Tages wuchtete Edith einen schweren
Koffer nach oben. Er enthielt neben einigen Wechselsachen eine Luftmatratze.
Auf der würde sie in den kommenden Nächten schlafen. Es lohnte sich nicht, ein
Bett aufzustellen. In weniger als drei Wochen war sie weg. Weg aus dieser
Stadt, weg aus diesem Land.
Nachdem sie ihr Schlaflager aufgebaut hatte, ging sie in die
Küche und goss sich ein Glas Wasser ein. Sie setzte sich an den Tisch und holte
einen Brief aus ihrer Jeans. Er war zerknittert und zerrissen. Als sie ihn
glättete, fuhren ihre Gefühle Achterbahn. Max hatte ihn geöffnet, weil er sich
wunderte, wieso sie einen Brief aus Dänemark bekam. Was er dort zu lesen bekam,
gefiel ihm nicht. Er bekam auf der Stelle einen seiner gefürchteten
Wutausbrüche. Bisher waren seine Brüllattacken zwar unangenehm gewesen, aber sie
waren nicht in Handgreiflichkeiten ausgeartet. Diesmal war es anders. Er packte
und schüttelte sie, während er schrie. Noch nie hatte sie solche Angst
verspürt. Hals über Kopf rannte sie davon. Zum Glück wusste sie von dieser
Mansardenwohnung, die den Eltern ihrer Freundin Karin gehörte. Es brauchte
nicht viel Überredungskunst, den Schlüssel zu bekommen. Man sah ihr an, dass
sie keinesfalls in die gemeinsame Wohnung zurückkehren konnte. Zu ihren Eltern
konnte sie nicht, denn ihre Mutter vergötterte Max und sah nicht einen seiner
Fehler. Sie würde sie postwendend zurückschicken und war noch nie eine Hilfe
gewesen, wenn es um die zahlreichen Streitigkeiten zwischen dem jungen Paar
ging. Sie stand immer auf der Seite ihres Schwiegersohnes in spe, wie sie Max liebevoll
nannte. Wie es Edith in dieser Beziehung ging, war ihre egal. Ein Doktor und
eine Kindergärtnerin. Da solle sie doch froh sein, einen solchen Mann zu
bekommen!
Innerlich hatte sich Edith schon lange aus dieser Beziehung
verabschiedet, auch wenn ihr der letzte Schritt noch schwerfiel. Um einen
Schnitt zu machen, bewarb sie sich daher auch heimlich in einem dänischen
Kinderheim. Und genau diese Zusage war Max in die Hände gefallen. Irgendwie war
es ja auch verständlich, dass er sich hintergangen fühlte. In weniger als drei
Wochen würde sie ihren neuen Job in einem anderen Land antreten.
Ob der Chef, der sich als Lars vorgestellt hatte, auch so
nett war, wie er über Skype rüber kam? Mit diesem Gedanken legte sie sich auf
ihr provisorisches Nachtlager und schlief sofort ein. Sie träumte vom Meer, von
lachenden Möwen und einem blonden Dänen, der sich schon ein wenig in ihr Herz
geschlichen hatte.
2. Krimi
Kommissar Medved grummelte wütend vor sich hin. Wieso hatte
er sich bloß dazu überreden lassen, wieder einmal den tollen Papa zu spielen?
Während seine Tochter und ihre affige Freundin eine Attraktion nach der anderen
auf dem Rummelplatz ausprobierten, stand er sich hier die Beine in den Bauch.
Er wäre viel lieber mit Lisa allein gewesen, hätte sich mit ihr unterhalten und
die gemeinsame Zeit für etwas genutzt, was wirklich gut für eine
Vater-Tochter-Beziehung war. Stattdessen zog er mit zwei Halbwüchsigen von Bude
zu Bude. Die Mädchen waren heute wieder einmal nicht zu bremsen. Sie kicherten
und gackerten die ganze Zeit. Und alles mussten sie ausprobieren. Achterbahn,
Riesenrad, Gespensterbahn. Und er konnte bezahlen. Die Preise waren ja ganz
schön saftig! Wer hier mit drei oder mehr Kindern hinging, der konnte ein
kleines Vermögen auf dem Platz lassen. Zwei Kinder reichen auch schon, um
jemanden in den Ruin zu treiben, dachte er missmutig, und beobachtete wie die
Beiden sich am Schießstand drängelten. So ein Schwachsinn! Geld ausgeben für
Papierblumen, die dann doch über kurz oder lang im Müll landen würden. Oder
noch schlimmer. Nach dem letzten Rummelbesuch hatte seine Tochter den Ficus in
seinem Büro mit den albernen Blumen geschmückt. Die Kollegen hatten ihn
tagelang aufgezogen, womit der denn seine Birkenfeige gedüngt hätte, dass sie
Blüten trägt. Medved verzog das Gesicht. Doch er riss sich zusammen, als die
Mädchen zurückkamen und lächelte gekünstelt. "Na habt ihr Spaß",
fragte er und wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen. "Jetzt gehen
wir zur Wahrsagerin", flüsterte seine Tochter aufgeregt und zog ihn mit
sich fort. "Auch das noch!", murmelte er, als er den saftigen Preis
für zwei Tickets bezahlte. Es dauerte etwa zehn Minuten, als die kleinen Gänse
wieder kichernd aus dem Zelt der Sibylle kamen. Was für ein schönes Leben doch
auf sie warten würde, schnatterten die Mädchen aufgeregt. "Papa, du musst
unbedingt auch hinein gehen!", forderte ihn sein Kind auf. "Oh ja, oh
ja", fiel die Freundin ein. Der Kommissar wusste, dass er keine Chance
gegen die Beiden hatte, bezahlte und schob seufzend den Zelteingang beiseite.
Drinnen war es genauso, wie er es erwartet hatte. Eine Frau unbestimmbaren
Alters, mit bunten Kleidern und übermäßig viel falschem Schmuck behangen, saß
hinter einem Tisch mit einer Glaskugel. Medved nahm ihr gegenüber Platz und schüttelte
sich innerlich. Auf ihrer Schulter saß ein Frettchen. In der Scheune seines
Elternhauses hatte einmal ein Iltis gewohnt. Als das Gebäude irgendwann
abgerissen wurde, hatte der längst verlassene Iltisbau immer noch fürchterlich
gestunken. Wie konnte man sich nur freiwillig mit so einem Tier abgeben? Bevor
er weiter darüber nachdenken konnte, hatte die Wahrsagerin seine Hand genommen
und hineingeblickt. "Du stellst die falschen Fragen", meinte sie zu
ihm. Er sah sie erstaunt an. Was meinte sie damit? "Es geht nicht immer um
Geld. Was ist manchen Menschen wichtiger als Reichtum?" Die Hexe schwieg
eine Weile und lies seine Hand los. "Warum bist du mit den Mädchen auf den
Rummelplatz gekommen?" Er antwortete nicht. "Du wolltest der Gute
sein, der Papa der Kinderträume erfüllt. Es sollte perfekt nach außen sein.
Wenn Lisa nach Hause kommt, soll sie deiner geschiedenen Frau erzählen wie
toll, der Nachmittag mit ihrem lieben Vati gewesen ist." Woher wusste sie,
dass er geschieden war und wie seine Tochter hieß? Doch dann begann er über
seine Naivität den Kopf zu schütteln. Natürlich. Die Kinder waren doch vor ihm
bei der Wahrsagerin gewesen! Beinahe wäre er auf diese Betrügerin reingefallen.
Doch da für sie schon fort: "Ich weiß, dass du lieber in deinem Büro sitzen
würdest, um an dem Fall der ermordeten Frau vom Vorstandsvorsitzenden Krämer zu
arbeiten. Aber du wolltest den Schein aufrechterhalten, dass dir deine
Verpflichtungen dem Kind gegenüber wichtiger sind. Obwohl es nichts bringt,
wenn diese fürchterliche Babsi mit dabei ist. Und genau das ist es, was manche
Menschen dazu treibt, Sachen zu machen, die nicht richtig sind. Nach außen soll
alles perfekt sein. Und dafür verbiegen sich einige Leute und andere Typen
gehen sogar über Leichen." Medved stand auf. Es reichte ihm. Natürlich war
in der Tageszeitung ein ausführlicher Bericht über den Mord an der
Industriellengattin gewesen. Sicher wusste die Alte daher, dass er die
Ermittlungen leitete. "Betrügerin", murmelte er noch im Hinausgehen.
Doch die Frau rief ihm hinterher: "Vielleicht wusste der Krämer das von
dem Reitlehrer und seiner Frau? Hast du das Mal in Erwägung gezogen? Wie ich
sagte: Die Menschen machen so einiges, um den Schein zu wahren."
Der Kommissar stutzte. Bisher waren er und seine Kollegen
davon ausgegangen, dass Frau Krämer das Opfer eines Raubmordes gewesen sei.
Hauptverdächtiger war der Reitlehrer, denn bei ihm fand man eine wertvolle
Kette der Toten und eine ihrer Kreditkarten. Was aber, wenn man ihm das
untergeschoben hatte? Medved rieb sich das Kinn. Der Reitlehrer war ziemlich am
Boden zerstört, als man ihm mit dem Mord an seiner Schülerin konfrontierte und
regelrecht zusammengebrochen. Vielleicht war das kein Schuldgeständnis, wie man
vermutete? Sein Alibi war nicht ganz wasserfest, denn er arbeitete zur Tatzeit
allein in der Reithalle, um ein neues Pferd zu trainieren. Wo aber war Krämer
gewesen, der jetzt den trauernden Hinterbliebenen spielte. Vielleicht sollte er
seine weiteren Ermittlungen in diese Richtung lenken? In seiner Laufbahn war es
oft genug vorgekommen, dass es nicht so war, wie es auf den ersten Blick
aussah.
Mit den maulenden Mädchen im Schlepptau strebte Kommissar
Medved rasch dem Ausgang zu.
3. Fantasy
Marla schüttelte sich vor Ekel. Da hatte sie doch
tatsächlich in eine Kröte gefasst! Was für eine blöde Idee das Artefakt
ausgerechnet in einem Iltisbau zu verstecken! Jeder in ihrer Familie wusste,
dass die kleinen Räuber diese warzigen Lurche mit einem Nackenbiss lähmten und
dann fangfrisch in ihren Vorratslagern aufbewahrten. Ihr Vater war Spezialist
für alle Raubtiere des heimischen Waldes, die kleiner als ein Fuchs waren. Er
konnte stundenlang darüber erzählen, ohne dass es den Zuhörern langweilig
wurde. Doch jetzt war er schon über zwei Jahre tot und seine Stelle versuchte
gerade dieser unsympathische Rudolf einzunehmen. Der wollte Rudi genannt werden
und sich alles unter den Nagel reißen. Die Mutter, das Haus und natürlich auch
die Besitztümer, die einmal Marlas Vater gehört hatten. Das, was sie jetzt
suchte, hatte sie gerade noch vor ihm in Sicherheit bringen können. Vor einigen
Wochen ging er ins Arbeitszimmer ihres Vaters, stellte seine Bücher ins Regal
und belegte den Schreibtisch mit Beschlag. "Was kuckst du so?", fuhr
er sie an, als sie ihm entsetzt dabei zusah. "Das ist jetzt mein Büro.
Hier werde ich arbeiten, wenn ich bei euch eingezogen bin." Dann eilte er
mit wichtiger Miene nach draußen, um einen Karton mit seinem Schreibkram zu holen.
Diese kurze Zeit hatte Marla genutzt um das kleine silberne Kästchen vom Regal
zu nehmen und im Topf der riesigen Birkenfeige, die in der Zimmerecke stand, zu
verbergen. Es war Sommer und sie hatte nur einen kurzen Rock und ein leichtes
Top an. Da gab es nichts, wo sie den wertvollen Schatz hätte verstecken können.
Zum Glück war die Erde des Ficus mit Moos bedeckt, unter das sie das Kästchen
schieben konnte. Er durfte es auf keinen Fall in die Hände bekommen. In der
Nacht darauf war sie aufgestanden und hatte das Artefakt geholt und im Iltisbau
versteckt. Dummerweise war diese Stelle, in der sie jetzt herumtastete, vor
einer Woche noch leer gewesen. Daher hatte sie gedacht, dass es ein prima
Aufbewahrungsort sei.
Sie überwand ihren Ekel vor den gelähmten Kröten und tastete
weiter. Endlich spürte sie etwas Metallisches. Da war es! Marla wischte es mit
dem Ärmel ihrer Strickjacke sauber. Vor Kurzem war ein kräftiger Regenguss
heruntergekommen und die Luft war sauber und kühl. Der Vollmond stand hell und
tröstend am Himmel. Es war genau die richtige Zeit und das passende Wetter.
Jetzt durfte sie keine Zeit mehr verlieren. Wenn man sie vermissen und nach ihr
suchen würde, dann konnte sie die Sache vergessen. Es würde ewig dauern, bis
alle nötigen Gegebenheiten wieder so ideal für ihr Vorhaben waren. Und
vielleicht nahm man ihr auch noch das Kästchen ab. Mit raschen Schritten eilte
sie in den Wald. Der Mond leuchtete zwischen die Bäume, aber auch ohne seinen
Schein hätte sie den Weg gefunden. Sie war ihn sicher schon tausendmal
gegangen. Nach etwa einer halben Stunde blieb sie auf einer Lichtung stehen.
Sie holte tief Luft und warf einen letzten Blick auf das Artefakt. Was für eine
komische Bezeichnung für so ein Kästchen, dachte sie nicht zum ersten Mal. Ihr
Vater hatte es so genannt. Als er krank wurde, zeigte er es ihr und erklärte,
was sie damit machen sollte. Wenn das Wetter und der Mond günstig wären, könnte
ihr dieses auf den ersten Blick recht unscheinbare Teil aus großer Not helfen.
Das war jetzt aber auch wirklich nötig. Rudi und ihre Mutter hatten vor einer
Woche geheiratet. Gestern Abend war sie, weil sie nicht schlafen konnte, noch
in die Küche gegangen, um sich etwas zu trinken zu holen. In den Tagen vor und
nach dem Vollmond bekam sie immer Probleme mit dem Einschlafen. Dabei ging sie
an der angelehnten Tür des Wohnzimmers vorbei und hörte, wie Rudi ihre Mutter
überzeugen wollte, Marla in ein Internat zu geben. Sie sollte fort von hier!
Der Wald, die Tiere und das Grab ihres Vaters waren doch alles, was ihre Welt ausmachte.
Niemals würde sie in eine Schule für Mädchen gehen! Es gab nur zwei
Möglichkeiten. Entweder sie lief weg oder sie probierte diese Sache aus, von
der sie so gar nicht überzeugt war. Was soll es, dachte sie sich und öffnete
das Kästchen.
Da drinnen lag ein winziges Ei. Marla sah sich suchend nach
einer geeigneten Stelle um. Es müsse weiches, feuchtes Moos sein, das vom
Schein des Vollmondes wie Silber glänzen würde, hatte Vater gesagt. Nach kurzer
Zeit entdeckte sie den perfekten Platz und legte das kleine Ei dort ab. Dann
stach sie sich mit der mitgebrachten Nadel in den Finger und ließ drei
Blutstropfen auf die makellose weiße Schale fallen. Diese veränderte sich
augenblicklich und schien Risse und Brüche zu bekommen. Gleichzeitig blähte
sich das Ei auf. Sie trat erschrocken einen Schritt zurück. Es schien
tatsächlich zu funktionieren. Als das Ei ungefähr die Größe eines Fußballs
hatte, veränderte es sich erneut. Die Schale wurde dunkel, fast schwarz und
schient trotzdem von innen zu leuchten. Jetzt war die Zeit gekommen um die
magischen Worte zu sprechen. Hoffentlich verwechselte sie nichts. Vor Aufregung
schien ihr Magen Achterbahn zu fahren. Sie schlucke und sprach dann mit
zitternder Stimme, die drei Verse aus dem Buch der Schatten, die ihr Vater ihr
beigebracht hatte.
Als sie fertig war, geschah zuerst einmal nichts. Marla
wollte schon verzweifeln. Hatte sie etwas verdreht oder falsch ausgesprochen?
Doch dann gab es einen leisen Plopp, das Ei zerbrach und heraus kam ein
seltsames kleines Fabelwesen. Es sah aus wie eine Katze mit drei Schwänzen,
hatte Flügel und den Kopf eines Fisches. "Hallo Marla", sagte es mit
heiserer Stimme. "Wird ja Zeit, dass du mich endlich aufweckst. Ich hatte
schon viel früher mit dir gerechnet. Warum hast du diesen schrecklichen Rudi
überhaupt so lange ertragen?"
Dem Mädchen fielen fast die Augen aus dem Kopf. "Wer
bist du? Oder was bist du?" Das seltsame Geschöpf sah an sich herunter,
grinste, soweit ein Fischmaul grinsen kann, und schüttelte sich dann. Sogleich
verwandelte es sich in ein kleines Männchen. "Ich bin ein Kobold, der sich
gern einmal einen Scherz erlaubt. Gibt zu, du hast nicht schlecht gestaunt, als
du dieses dreischwänzige, geflügelte Katzenfischdings erblickt hast. Mit meiner
echten Gestalt hinterlasse ich niemals so einen gewaltigen Eindruck." Der
kleine Kerl grinste geradezu unverschämt. Doch dann verbeugte er sich
"Mein Name ist Arlo. Ich bin ein Freund deines Vaters und ich bin
gekommen, um dich nach Rosenhort zu begleiten."
"Ich verstehe gar nichts", meinte Marla, als sie
von fern Rufe durch den Wald schallen hörte. "Sie suchen nach dir",
meinte Arlo. "Es ist Zeit, das wir verschwinden." Er wandte sich um
und lief schneller, als man es ihm je zutrauen würde, davon. "Kommst du?
Oder willst du doch ins Internat?", rief er ihr über die Schulter zu. Das
Mädchen schüttelte den Kopf und folgte dem Kleinen, der schon fast hinter der
nächsten Wegbiegung verschwunden war. Es war verrückt, das zu tun! Aber alles
war besser als ins Internat zu müssen.
Freitag, 6. April 2018
Dreiklang: Drei Worte – Drei Genres (1)
Heute: Teetasse, Kleid, Magen
1. Liebesroman:
Karla zog ihr Kleid aus und warf es wütend in die Ecke.
Wofür hatte sie sich nur all diese Mühe gegeben? Es war wie verhext! Die Typen
aus dem Internet entpuppten sich alle als Spinner, Machos oder Mogelpackung.
Das war jetzt ihr fünftes Blinddate und jedes Mal wurde sie frustrierter. In
der Fernsehwerbung gaukelten sie den Zuschauern Männer vor, die nach einer
echten Beziehung suchen würden. Und was hatte das Leben in Wahrheit zu bieten?
Der schmierige Kerl heute, der keineswegs Ähnlichkeit mit seinem Profilbild
hatte, wollte sie doch glatt am ersten Abend zu einem flotten Dreier einladen.
So eine Unverschämtheit! Dabei hatte er unter der Überschrift "Meine
Vorstellungen von einer Partnerschaft" solche Worte wie monogam und Treue
angekreuzt. Eine bodenlose Frechheit! Sie konnte sich gar nicht beruhigen und
murmelte unablässig vor sich hin, während sie Teewasser aufsetzte.
Kurz bevor das Wasser kochte, klingelte es. Wer war denn das
nun noch! Sie konnte jetzt wirklich niemanden gebrauchen. Höchstens, um ihren
Frust abzulassen. Immer noch aufgebracht, stampfte sie zur Tür und riss sie
auf. Wenn da jetzt die Zeugen Jehovas standen, die könnten was erleben!
Aber es war nur Johannes, ihr Nachbar, der sie mit schief
gelegtem Kopf ansah. "Ist wohl nicht so gut gelaufen?", meinte er mit
einem Blick auf ihr Gesicht. Mit einer Handbewegung bat sie ihn herein und
brummelte, ob er auch eine Tasse Tee wolle. Ohne auf seine Antwort zu warten
holte sie einen zweiten Becher aus dem Schrank und warf einen Teebeutel hinein.
Er sah ihr schweigend zu, wie sie das Wasser aufgoss. Irgendwie tat seine Nähe
gut und Karla merkte, wie sie sich langsam beruhigte. "Nee, war voll der
Reinfall", gab sie kleinlaut von sich.
"Hey Karla-Mädchen, nimm das nicht so schwer.
Vielleicht ist die ganze Sache mit dem Internet nicht so wirklich dein Ding.
Versuch es doch mal im echten Leben."
"Wie soll ich denn irgendwann irgendwo irgendwem
kennenlernen, der zu mir passt?", fauchte sie zurück. "Ich arbeite in
Schichten als Altenpflegerin. Entweder bin ich auf Arbeit oder müde. Und die
Sache mit dem Single-Urlaub habe ich auch schon ausprobiert. War genauso ein
Reinfall!"
Er hielt seine Tasse hoch und pustete, als ob ihm der Tee zu
heiß wäre. "Kennst du Goethe?", murmelte er leise.
"Was ist das jetzt für eine Frage? Na klar!"
Johannes holte tief Luft: "Warum in die Ferne
schweifen.. "
Der Blick aus seinen Augen traf sie unvermittelt und fuhr
wie ein Stich in ihren Magen.
"Meinst du: das Gute liegt so nah?", fragte sie
heiser, während sie verlegen in ihrer Teetasse rührte.
Er nickte. Und als sie nichts sagte, murmelte er etwas von
"nur so einer Idee" und drehte er sich mit einem entschuldigenden
Schulterzucken zur Tür.
"Warte" rief sie, fasste ihn bei der Hand und zog
ihn zurück. "Das ist keine schlechte Idee" grinste sie und fiel ihm
um den Hals.
2. Krimi
Kommissar Sören Goldberg betrachtete nachdenklich die Witwe
des Opfers. Sie sah wie eine Elfe aus. So zart und rein. Allerdings wirkte sie
auf den Beamten wie ein geschundenes Fabelwesen. Auf ihrer rechten
Gesichtshälfte zeichnete sich ein regenbogenfarbiger Bluterguss ab. Ihre Hände,
die eine Teetasse hielten, zitterten leicht. Das war kein Wunder, war sie doch
erst vor kurzem einem Anschlag, der ihren Gatten das Leben gekostet hatte,
knapp entgangen. Jemand hatte die Bremsen seines Autos manipuliert, so dass es
beim Fahren über die Serpentinen am nahegelegenen Germanpass aus der Bahn
geriet und in den Abgrund stürzte. Das Maria Richard aus dem Auto geschleudert
wurde, rette sie vor dem sicheren Tod.
Rudolf Richard galt als kein angenehmer Mensch. Als
Bauunternehmer war er skrupellos, als Arbeitgeber ein Sklaventreiber und
angeblich hätte er sogar Beziehungen zur Mafia unterhalten. Es gab also jede
Menge Verdächtige. Allerdings machte sich Kommissar Goldberg kaum Hoffnungen,
dass man den Täter je finden würde. Die hiesige Polizei war überfordert. Und
wenn der Verbrecher tatsächlich aus Mafiakreisen kam, hatte man kaum eine
Chance ihn zu überführen. Die Typen waren einfach zu clever, dachte er
zerknirscht. Wider besseren Wissens, versicherte er der Witwe, dass man den
Mörder finden und zur Rechenschaft ziehen würde. Er erhob sich, um sich zu
verabschieden, als die Tür aufgerissen wurde. Herein stapfte eine junge Frau in
Jeans und Schlabberpullover, die die Anwesenden mit einem verächtlichen Blick
musterte. Martha Richard war die Tochter des Opfers aus erster Ehe. Goldbergs
Blick wechselte zwischen den Frauen hin und her. Manchmal schreibt das Leben
die besten Geschichten, dachte er. Unterschiedlicher hätten sie nicht sein
können, obwohl die Ungleichheit nicht so sehr im Alter lag. Richard hatte sich
nach dem plötzlichen Tod seiner Frau schnell mit Tochter einer seiner
Angestellten getröstet. Maria und Martha. Wie in der Bibel. Sanft weich und
blond, die Eine. Hart, dunkelhaarig und mit wildem Blick, die Andere. Über die
Beziehung der Eheleute und das Verhältnis der beiden Frauen zueinander war der
Öffentlichkeit und auch der Polizei nichts weiter bekannt. Der Bauunternehmer
hatte sein Privatleben fest unter Verschluss gehalten.
Als der Kommissar Martha erklärte, dass er im Gehen sei und
sich gerade von ihrer Mutter verabschieden wolle, erntete er nur ein
verächtlich hingeworfenes Wort. "Stiefmutter". Sie spie es geradezu
aus. Goldberg warf der Witwe einen mitfühlenden Blick zu, die unter dem Wort
zusammengezuckt war.
"Was werden Sie jetzt tun?", fragte er mit sanfter
Stimme.
Ein Seufzen folgte. "Mein Mann hat ein Anwesen in der
Toskana, dorthin werde ich mich zurückziehen, bis ich die ganze Sache
verarbeitet habe."
"Und nach und nach alles Wertvolle verkaufen!",
höhnte Marthas Stimme durch den Raum. "Glaub ja nicht, dass ich dir das
durchgehen lasse. Ich werde dich begleiten und ein Auge auf dich haben."
Goldberg bekam ein ungutes Gefühl im Magen. Natürlich würde
es einen unerbittlichen Streit ums Erbe geben. Da wollte er nicht mit
hineingezogen werden, selbst für so ein feenhaftes Wesen wie Maria nicht. Er
verabschiedete sich schnell und lies die Frauen allein.
Auf der Straße warf er noch einen letzten Blick zurück zum
Haus. Vielleicht war es Einbildung, aber er glaubte Maria Richard hinter einem
der Fenster zu erkennen. Sie tat ihm leid. So eine Stieftochter hatte sie
sicher nicht verdient. Aber das war nicht sein Problem. Er schüttelte den Kopf,
startete sein Auto und fuhr los.
Dem davonfahrenden Wagen folgten nicht zwei, sondern vier
Augen. Martha stand dicht hinter Maria und legte ihr besänftigend die Hände auf
die Schultern, als diese seufzte.
"Es ist überstanden. Jetzt lass uns abhauen!" Die
blonde Frau nickte, eilte ins Nebenzimmer, zog ihr Kleid aus und warf es
achtlos in einen Koffer. Dann stieg sie in Jeans und Sweatshirt und war jetzt
ähnlich gekleidet wie ihre Stieftochter. Sie nahm den Koffer und eilte in die
Garage.
Martha wartete auf der Rückbank des Mercedes und lächelte
ihr aufmunternd zu. "Es bleibt alles wie abgesprochen." Als Maria das
Gepäck verstaut hatte und den Motor startete, warf sich die Andere die
bereitgelegte Decke über den Kopf und wurde für eventuelle Beobachter
unsichtbar. Das Garagentor öffnete sich automatisch, der Wagen verließ das
Gelände und fuhr Richtung Autobahn. Die Fahrerin wählte die Auffahrt in
Richtung Süden. Auf der Rückbank blieb es still. Nach fast einhundert
Kilometern fuhr das Auto ab und bog auf eine Landstraße in Richtung Osten ein.
Martha hatte sich inzwischen aufgesetzt und die Decke beiseitegelegt. Die
beiden Frauen sprachen immer noch kein Wort.
Eine Stunde später brach Maria das Schweigen.
"Hier?", fragte sie leise. Martha nickte. Als ihr einfiel, dass man
das beim Autofahren nicht sehen konnte, flüstere sie: "Ja. Dort ist das
REWE-Schild. Jetzt drück bloß die Daumen, dass das Auto noch da ist." Ihre
Stimme war heiser vor Aufregung. Als sie den grauen Skoda auf dem Parkplatz
entdeckte, seufzte sie vor Erleichterung.
Maria bog in die Einfahrt und warf ihr einen aufmunternden
Blick über den Rückspiegel zu. "Ich habe es doch gesagt. Wer klaut schon
Skodas?"
Die beiden Frauen griffen nach den Basecaps, die auf dem
Beifahrersitz lagen, zogen die Schirme ins Gesicht und versteckten ihre Augen
hinter großen Sonnenbrillen. Nun hätte man sie glatt für Schwestern halten
können, denn ihre Haare waren vollständig unter den Kopfbedeckungen
verschwunden. Marias Bluterguss war durch diese Vorsichtsmaßnahmen kaum noch zu
erkennen. Sie verließen den Mercedes, ohne ihn abzuschließen, und schlenderten
auf den Supermarkt zu. Anstatt hineinzugehen, bogen sie jedoch um die Ecke und
fütterten den dort aufgestellten Automaten mit Kleingeld um Kaffee und
Schokonüsse zu ziehen.
Sie setzen sich in den Schatten auf eine Mauer und
beobachteten den Betrieb auf dem Parkplatz. Wieder war es Maria, die zuerst etwas
sagte. "Lass uns fahren."
Martha nickte und fischte einen Autoschlüssel aus ihrer
Jeans, den sie ihrer Begleiterin reichte. Beide gingen ohne Eile zu dem Skoda
und stiegen ein. Maria fuhr vom Parkplatz und lenkte das Auto in Richtung Norden, während ihre Begleiterin eine Aldi-Tüte unter dem Sitz hervorholte.
Beide seufzten erleichtert auf, als sie sahen, dass der
Inhalt noch unversehrt war. "Das war ganz schön riskant, zwei nagelneue
Pässe und eine halbe Million Euro über Nacht auf einem Parkplatz stehen zu
lassen, von dem bekannt ist, dass dort ständig Autos verschwinden."
Maria grinste. "Ich kann mich nur wiederholen, wer
klaut schon Skodas. Unser Mercedes wird sicher nicht lange allein
bleiben."
Martha nickte erleichtert, holte ein mobiles
Navigationsgerät aus dem Handschuhfach und schloss es an. "Wie heißt der
Ort, wo wir hinwollen?"
"Kiruna."
Kopfschüttelnd folgte die Antwort. "Warum musstest du
unbedingt ein Haus am Polarkreis kaufen?"
"Weil ich so weit weg wie möglich wollte, ohne dass wir
in ein Flugzeug steigen müssen."
"Du hast ja Recht. Es liegt so weit weg von allem, was
man je mit diesem Menschen in Verbindung bringen würde. Niemand wird uns
finden. Und niemand wird dir je wieder wehtun." Sie legte die Hand sanft
auf Marias verunstaltete Wange.
Die Fahrerin warf ihrer Beifahrerin ein Lächeln zu:
"Niemand wird uns je wieder wehtun." Sie trat aufs Gas und der Skoda
machte sich tapfer brummend auf den Weg zur A 24.
3. Fantasy
Lin Lin kletterte voller Angst auf einen Baum. Was sie sah,
erfüllte sie mit Entsetzen, aber sie konnte ihren Blick nicht abwenden. Durch
ihr Heimatdorf, das bis vor kurzem noch friedlich im Abendsonnenschein gelegen
hatte, zog eine marodierende Horde auf riesigen Pferden? Waren es Menschen oder
waren es Ungeheuer? Das Mädchen konnte sich diese Frage nicht beantworten, denn
die Reiter trugen Masken, deren furchterregende Züge miteinander wetteiferten.
Dieser Anblick wurde jedoch von den Taten der Eindringlinge übertroffen. Mit
wildem Gebrüll metzelten die Fremden alles nieder. Dabei war es gleich, ob sich
einige der Dorfbewohner ihnen zum Kampf entgegenstellten, oder ob sie flüchtend
versuchten, ihr Leben zu retten. Es gab kein Entrinnen. Männer, Frauen, Kinder
fielen blutend in den Staub. Aber auch die Hunde, Hühner und das andere Vieh
wurden nicht verschont. Alles starb unter den wütenden Schwerthieben. Als sich
nichts Menschliches mehr regte, brüllte der Anführer einen heiseren Befehl.
Daraufhin warfen die Mörder brennende Fackeln auf die Strohdächer der
Dorfhütten und trieben die letzten überlebenden Wasserbüffel zusammen. Singend
und von ihrer blutigen Tat berauscht, machten sie sich im flackernden Schein
des brennenden Dorfes auf den Weg. Sie schienen im Nichts zu verschwinden, aus
dem sie gekommen waren.
Lin Lin wagte lange nicht, ihren schützenden Baum zu
verlassen. Tränenlos sah sie zu, wie ihr Heimatort in Schutt und Asche versank.
Erst als die Sonne über dem Tal aufstieg kletterte sie hastig vom Baum. Es war
ihr egal, dass sie sich dabei ihr Kleid mit der hübschen
Pflaumenblütenstickerei zerriss. Sie hatte es angezogen, weil sie sich heimlich
mit Win Tsun treffen wollte. Die beiden waren schon seit einiger Zeit ein Paar.
Heute Abend wollten sie besprechen, wann der junge Mann zu ihrem Vater gehen
solle, um die Hand von Lin Lin zu erbitten.
Win Tsun war einer der Ersten gewesen, den die Schwerter der
Eindringlinge zu Boden streckten. Todesmutig stellte er sich ihnen in den Weg.
Doch mit seiner Mistgabel hatte er nicht die geringste Chance. Lin Lin biss
sich auf die Fäuste, um nicht zu schreien, als sie den ungleichen Kampf vom
Baum aus beobachtete. Doch dann ließ sie die Hände sinken. Nachbar um Nachbar,
Freund um Freund sank zu Boden. Ihre Mutter, ihr Vater, die kleinen Schwestern.
Niemand entkam den Mördern.
Im Morgenlicht wankte sie zwischen den schwelenden
Aschehaufen umher, die sie einmal Heimat genannt hatte. Was sollte sie tun? Wo
sollte sie hin? Lähmendes Entsetzen griff nach ihrem Herzen und presste den
Magen zusammen. Sie musste sich übergeben. Während sie noch würgte, hörte sie
ein leises Stöhnen. Mit dem Handrücken wischte sie sich den Mund ab und folgte
den Lauten. Unter dem halbverkohlten Dach eines Stalles fand sie eine alte
Frau. Komisch. Sie kannte alle Dorfbewohner, aber diese Alte hatte sie noch nie
gesehen. Trotzdem wollte sie ihr die notwendige Hilfe nicht versagen. Unter
Anstrengung aller Kräfte zog sie die Verletzte unter den Trümmern hervor.
"Danke mein Kind", flüsterte diese.
"Keine Sorge, Mütterchen", sprach Lin Lin
beruhigend auf sie ein. Natürlich sah sie, dass der Frau nicht mehr zu helfen
war, aber sie wollte ihr wenigstens die letzten Stunden erleichtern. "Ich
gehe und hole dir Wasser. Dann wird es dir sicher gleich besser gehen. "
Als sich das Mädchen abwenden wollte, griff die Alte nach
ihr. Seltsam. Ihre Hand war stark und kräftig, gar nicht so wie bei einer
Sterbenden. Die Frau zog sie nahe zu sich heran und flüsterte: "Gehe zu
den Mondbergen und gib dem Mönch, der unter dem großen Felsen sitzt, dieses
Amulett von mir. Sag ihm, der Jadeprinz hätte es jetzt endgültig übertrieben.
Sag ihm auch, dass ich dich schicke, damit er dich lehrt, diesen Mörder
zurechtzuweisen." Während dieser Worte hatte sie eine kleine Jadetafel, in
die ein Phönix eingeritzt war, aus ihrer
Tasche gezogen und überreichte sie Lin Lin.
Zögernd griff diese danach. "Hilf mir, mich
aufzurichten", befahl die Alte. Das Mädchen gehorchte und wunderte sich
noch einmal. Für so eine klapprige, dürre Frau war sie unheimlich schwer. Wie
hatte sie es nur geschafft, diese Last unter dem Stalldach hervorzuziehen? Doch
ehe sie sich darüber Gedanken machen konnte, verlangte die Verletzte stöhnend
nach Wasser. Lin Lin sah sich um. Worin sollte sie Wasser holen? Alle Gefäße
waren verbrannt, zerschlagen oder unter den eingestürzten Häusern begraben. Die
alte Frau schien ihre Gedanken zu erraten, griff erneut in ihre Tasche und
holte eine bemalte Teetasse hervor, die sie ihr reichte. Das Mädchen griff
danach und eilte zum Fluss.
Als sie zurückkam, war die Alte verschwunden. Wie sehr sie
auch rief und suchte, sie fand die Frau nicht mehr. An der Stelle, an der sie
die Verletzte verlassen hatte, lag eine glänzende Feder. Lin Lin konnte sich
nicht vorstellen, von welchem Vogel sie stammte. So eine Feder hatte sie noch
nie gesehen. Als ihr Blick auf die Teetasse fiel, die sie immer noch in den
Händen hielt, schüttelte sie erstaunt den Kopf. Das Bild auf dem Gefäß zeigte
einen Phönix, der mit einer Schlange kämpfte. Die Federn dieses Vogels glichen
der, die sie auf dem Platz der verschwundenen Alten im Staub gefunden hatte.
Was hatte das alles zu bedeuten? Und was sollte sie jetzt
tun? Lin Lin sah sich mit brennenden Augen um. Hier war niemand mehr am Leben.
Ihr Dorf gab es nicht mehr. Und so war es wohl am besten, wenn sie sich
tatsächlich auf den Weg in die Mondberge machte. Es war gleich, was sie dort
erwartete. Hier gab es keine Zukunft für sie.
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