Montag, 15. April 2019

Vom echten Leben und den Protagonisten in meinen Büchern

Vor einiger Zeit fragte mich ein guter Freund, ob meine Geschichten viel Autobiografisches enthielten. Ich habe eine Weile überlegt und dann geantwortet, dass da immer mal einzelne Szenen auftauchen. Im Allgemeinen führen meine Protagonisten aber ein Eigenleben.

So wird es auch Katja, meiner Heldin im »fast fertigen« Roman »Halbes Haus und ganzes Glück« ergehen. Wem der Titel irgendwie bekannt vor kommt, der irrt sich nicht. Er ist angelehnt an »Altes Haus und neues Glück«. Dessen Protagonistin spielt im neune Buch eine Nebenrolle. Keine Angst, es wird kein Fortsetzungsroman, sondern ein eigenständiges Werk.

Leserinnen von »Altes Haus und neues Glück« erinnern sich vielleicht, dass Alexandra, um die es in dieser Geschichte geht, ein Fan des Buches »Vom Kochen und Leben in märkischen Gutshäusern« ist. Das haben wir gemeinsam.

Vor Kurzem war ich auf einer Veranstaltung der Kunstfreunde Pritzwalk. Dort habe ich einen der Verfasser des oben genannten Werkes getroffen und mir gleich ein Autogramm von Bernhard von Barsewisch geholt. Noch während der Autor unterschrieb, war mir klar: Diese Szene wird garantiert in meinem neuen Roman auftauchen!


Das Buch findet ihr auf https://www.amazon.de/Vom-Kochen-Leben-m%C3%A4rkischen-Gutsh%C3%A4usern/dp/3939629391/


Montag, 25. März 2019

Ist "mit der Hand" schreiben noch zeitgemäß?

Wenn man Bücher schreibt, dann sitzt man heutzutage meistens am Computer. Für Autoren gibt es inzwischen viele Programme, die in ihren Funktionen weit mehr können, als die allgemein bekannten Schreibprogramme. Man kann plotten, Zeitstrahlen erstellen, Figurendatenbanken anlegen, sich Synonyme anzeigen lassen und und und... Der Rechner ist das Arbeitsmittel schlechthin.  Da schmerzt selbst nach 2000 Wörter kein Handgelenk. Alles ist korrigierbar, kopierbar und austauschbar. Wie praktisch und schnell das geht! Wer schreibt denn da noch mit der Hand? Nachrichten werden per WhatsApp verschickt. Oder man sendet lieber gleich lustige Katzenvideos, um Kontakt mit seinen Freunden zu halten. Selbst die Einkaufszettel hat man jetzt schon im Smartphone. So scheint das Schreiben, wie wir es ursprünglich gelernt haben, eine aussterbende Kunst zu sein.

Wird das jetzt ein Abgesang auf das Schönschreiben und die wundervollen Geräte, die man dazu braucht? Wer das erwartet, liegt falsch! Tagebücher werden immer noch per Hand geschrieben. Für Glücks- und Erfolgstagebücher wählt man sogar besonders schöne Schreibgeräte aus, denn so kann man die wertvollen Momente im Leben wirklich würdigen. Kaum jemand freut sich über einen ausgedruckten Geburtstagsgruß. Wer eine Karte mit der Hand schreibt, der hat sich Zeit genommen und Mühe gemacht. Die Handschrift ist individuell und persönlich, der Drucker nur ein austauschbares Gerät.

Es wird so viel über Achtsamkeit geredet. Mit einem Füller zu schreiben, heißt achtsam schreiben. Es gibt kein Zurück, wenn man sich verschreibt. Ein Bogen oder Haken zu viel lässt sich nicht einfach löschen. Einen Strich zu wenig kann man vielleicht noch einfügen. Aber die Korrektur wird auffallen. Wer mit der Hand schreibt, muss ganz bei der Sache sein. Und das sind wir in unserem hektischen Alltag viel zu selten. Es tut uns und unserer Seele gut, ab und zu einmal einen schönen Stift in die Hand zu nehmen, und unsere Gedanken aufs Papier zu bringen.
Und überhaupt: Es ist wohl nicht schwer, zu entscheiden, welche Variante eher überzeugt!

Ich liebe Dich!

oder






Mein Dank gilt Cleo Schreibgeräte aus Bad Wilsnack, die mich in diesem Jahr als regionalen Autor mit auf die Leipziger Buchmesse genommen haben.


Freitag, 9. November 2018

HH - Haiku im Herbst

Mir ist in dieser Woche tatsächlich mal wieder danach Haikus zu schreiben.

Wer noch nie davon gehört hat, hier kommt die Erklärung:

Haiku (jap. 俳句; Plural: Haiku, auch: Haikus) ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die heute weltweit verbreitet ist. Das (oder der) Haiku gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt.
Zu den bedeutendsten Haiku-Dichtern zählen Matsuo Bashō (1644–1694), Yosa Buson (1716–1783), Kobayashi Issa (1763–1827) und Masaoka Shiki (1867–1902). Bashō erneuerte mit seinen Schülern die Haikai-Dichtung und ermöglichte ihr die Anerkennung als ernsthafte Literatur. Shiki gilt als Begründer des modernen Haiku. Er war es, der den Begriff Haiku prägte (gegenüber dem älteren Haikai oder Hokku).
Japanische Haiku bestehen meistens aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten (Moren), wobei die Wörter in den Wortgruppen vertikal aneinandergereiht werden. Es gibt jedoch kritische Stimmen über die Verteilung von Silben wie Vicente Haya[1] oder Jaime Lorente[2]. Unverzichtbarer Bestandteil von Haiku sind Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart. Vor allem traditionelle Haiku deuten mit dem Kigo eine Jahreszeit an. Als Wesensmerkmal gelten auch die nicht abgeschlossenen, offenen Texte, die sich erst im Erleben des Lesers vervollständigen. Im Text wird nicht alles gesagt, Gefühle werden nur selten benannt. Sie sollen sich erst durch die aufgeführten konkreten Dinge und den Zusammenhang erschließen.[3]
Quelle: Wikipedia



Herbst

Hell der Sonnenschein.
Farbenspiel verwirrt den Sinn.
Nichts ist für ewig.



Herbst II

Schattenspiel im Grau.
Unsteter Blick gleitet hinweg.
Die Wahrheit verschwimmt. 





Freitag, 19. Oktober 2018

Altes Haus und neues Glück

Wer Lesefutter für die grauen Nebeltage und fürs Herz sucht, der findet das garantiert in der überarbeiteten Neuauflage meines Romans "Altes Haus und neues Glück". 

So ganz nebenbei erfährt man noch etwas über einen relativ unbekannten Teil Deutschlands, denn das Buch trägt den Untertitel "Ein Prignitz-Roman".

Dank der wunderbaren Lektorin Elsa Rieger, dem Beistand von Sibylle Godek, Ilka Hempel, Daggi Geiselmann und den fleißigen Leserinnen der Leserunde von Lovelybooks ist mein vordem etwas holpriger Erstling nun gebügelt, gestärkt und im neuen Gewand  erschienen.

Man bekommt "altes Haus und neues Glück" als Taschenbuch oder E-Book im Buchhandel und auf allen gängigen Plattformen.

Hier der Link zu Amazonhttps://www.amazon.de/Altes-Haus-neues-Gl%C3%BCck-Prignitz-Roman/dp/3752840463/

Und eine Leseprobe für alle Neugierigen:


Die Haustür fiel mit einem Krachen ins Schloss. Alexandra zuckte zusammen. Sie hörte schnelle, leise Schritte, das Zufallen einer Autotür und dann fuhr er davon.
Er fuhr. Er fuhr! Für immer?
Für immer.

Die plötzliche Stille lastete schwer auf Alexandra. Ihre Knie wurden weich und die Beine begannen zu zittern. Damit sie nicht umfiel, stützte sie sich an der nächstgelegenen Wand ab. Erst nur mit den Händen, dann mit dem Rücken und schließlich rutschte sie langsam in sich zusammen, bis sie auf dem schmutzigen Boden saß.
Ihre Gedanken überschlugen sich und sie murmelte: »Aber das kann er doch nicht machen. Ich habe alles für ihn aufgegeben. Ich habe alle Brücken abgebrochen. Ich wollte noch einmal komplett neu anfangen. Ich habe alles gemacht. Seinetwegen. Nur wegen ihm bin ich überhaupt hier!«
Was sollte sie jetzt tun? Panik überfiel sie, während sie gleichzeitig auf das Brummen eines Autos lauschte. Sicher würde Thomas gleich zurückkommen. Sie stand langsam auf, schlurfte in Richtung Tür und fühlte sich dabei wie eine alte Frau.
»Bloß nicht durchdrehen«, flüsterte sie mit versagender Stimme. Alles würde sich aufklären. Ganz bestimmt. Der Streit war nur ein fürchterliches Missverständnis gewesen. Sie klammerte sich verzweifelt an diese Vorstellung, wenngleich ihre Hoffnung mit jeder Sekunde des Wartens schwand. Die Zeit verrann.
Verlassen und hilflos stand sie da, inmitten von grauen Umzugskartons, bunten Kisten und dem alten Hausrat, der einmal einer gewissen Frau Elsa gehört hatte. Bei dem alten Zeugs stand ein Spiegel und Alexandra schaute zufällig hinein. Sie sah eine kleine, nicht mehr ganz junge Person mit kurzen blonden Haaren. Sie krümmte sich, schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte fassungslos den Kopf. In den folgenden Minuten schien sie buchstäblich zu schrumpfen.
Einige der Gespräche, die sie in den letzten Wochen geführt hatte, kamen ihr in den Sinn. Wortfetzen, Satzfragmente aus den Unterhaltungen mit Freundinnen und Bekannten. Fast alle hatten mit verständnisloser Miene gemahnt: Sag hinterher nicht, wir haben dich nicht gewarnt.
Aber wer wollte so was schon hören! Sie jedenfalls nicht.
Und was hatte Thomas Mal für Mal gesagt? »Stell dir vor, wie schön das wird – nur wir zwei – auf dem Land – ich besitze einige Ersparnisse – davon können wir leben.« Alexandras Gegenargumente waren von Anfang an recht schwach gewesen. Dass sie keine Ahnung vom Landleben hätte, dass ihr die Stadt und all das Drumherum fehlen würden. Dass sie beide sich noch nicht so lange kannten. Aber eigentlich spielte das alles keine Rolle. Daher verstummten ihre Einwände mit der Zeit. Die Hauptsache war doch, sie würde mit ihm zusammen sein. Das war ihr lang gehegter Traum! Und der sollte nun endlich Wirklichkeit werden. Ihr Leben war perfekt! Thomas war ihr Seelenverwandter, auf den sie so lange gewartet hatte. Da war es egal, ob man sich Wochen oder Jahre kannte. Er hatte ihre Zweifel bis vor Kurzem einfach weggeküsst und sie in die Arme genommen. Wenn sie verabredet waren, sagte er Alexandra all die Sachen, die sie so gern hörte und ewig nicht mehr gehört hatte. Schon lange hatte sie sich nach einer festen Beziehung gesehnt und war es leid, dass die Zeit verging und kein Mann an ihrer Seite war. Natürlich gab es immer wieder irgendwelche Abenteuer, aber da war nichts für die Dauer darunter gewesen. Sie wollte vertrauen und sich auch einmal fallen lassen. Die Starke und Taffe hatte sie lang genug gespielt. Hatte sie nach außen hin geben müssen. Und das fiel ihr nicht leicht, denn sie sehnte sich danach, sich auch mal an jemanden anlehnen zu dürfen und nach Geborgenheit. Das hatte kaum irgendwer gewusst, denn diese Sehnsucht stak gut verborgen tief in ihr drin.
Bis sie Thomas kennengelernt hatte. Der war genau der Mann, der wusste, wo es langging. Es war einfach himmlisch mit ihm. Er hatte Unternehmungsgeist und Schwung. Für ihn war das ganze Leben ein aufregendes Abenteuer. Das tat ihr gut und sie hatte sich mühelos von seiner Begeisterung anstecken lassen. Und nun war sie hier gelandet.

Altes Haus und neues Glück



Freitag, 3. August 2018

Von Messern, Stöcken und (gar nicht so) zarten Fäusten



Mein Trainingstagebuch der 5. Frauenkampfkunstwoche 2018 beim Reit- und Erlebnishof Preddöhl


Die Kampfkunst ist zum Glück schon lange keine Männerdomäne mehr. Es gibt viele Frauen die Spaß und Freude daran haben. Inzwischen können alle, die Lust darauf haben, die unterschiedlichsten Stile der Kampftechniken erlernen. Die unterscheiden sich in einigen Aspekten relativ stark und haben doch viele Gemeinsamkeiten.  Eine perfekte Möglichkeit mal über den Tellerrand der eigenen Trainingseinheiten hinauszuschauen, ist die Frauenkampfkunstwoche in Preddöhl. In diesem Jahr trafen sich zum 5. Mal mehr als 50 Teilnehmerinnen um miteinander zu trainieren und voneinander zu lernen. Sie waren aus ganz Deutschland und halb Europa angereist. Den weitesten Weg hatte wohl die Aikido-Trainerin, die aus Finnland kam. Für eine Woche fand sich in der Prignitz eine bunt gemischte Truppe von Frauen und Mädchen zusammen, die in Kampfstil, Größe, Alter und Erfahrungen eine ziemliche Bandbreite abdeckten. Und ich war eine von ihnen. (Verhältnismäßig klein, nicht mehr jung und mit Erfahrungen im Shuri Ryu Karate, die sich als nicht besonders fortgeschritten bezeichnen lassen, wie man an meinem grünen Gürtel erkennen kann.)

Sonntag, 22.07.2018

Der Sonntagabend beginnt mit der obligatorischen Begrüßungsrunde im Dojo des Reit- und Erlebnishofes Preddöhl. Ich blicke im Kreis herum und entdecke einige bekannte Gesichter. Unter ihnen und auch bei den unbekannten Frauen überwiegen die Braun- und Schwarzgurte. Das heißt, dass fast alle Anwesenden mehr Erfahrungen in der Kampfkunst haben. Bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, beginnt der offizielle Teil mit den allgemeinen Mitteilungen. Da ist viel Organisatorisches für die Übernachtungsgäste darunter. Die wichtigste Information lautet: Nach dem Abendessen treffen wir uns in der Turnhalle von Gerdshagen zum Begrüßungstraining
Als Trainerinnen werden in dieser Woche vier ganz unterschiedliche Frauen agieren. Sie vertreten dabei recht verschiedene Stile.
Für die Richtung Shuri-Ryu Karate ist Lydia verantwortlich. Sie ist meine Sensei, bei der ich hier in Pritzwalk trainiere, und wird uns hauptsächlich im Stockkampf unterrichten. Der ist Teil unserer Karateform. Außerdem fungiert sie gleichzeitig als Mitglied des Organisationskomitees.
Li aus Bonn ist Meisterin im Kungfu To'A. das ist ein iranischer Kungfu-Stil, der sich durch vielseitige Tritte und Trittkombinationen auszeichnet.
Jenny aus Finnland soll uns Aikikai Aikido nahe bringen und lässt uns an dem Wissen teilhaben, das sie in Japan erworben hat.
Birgit schwärmt für Kickboxen und Selbstverteidigung. Als ehemalige Teamcoach für das Wado Ryu Karate Nationalteam der Frauen bringt sie uns den Freikampf nah.
In der Turnhalle Gerdshagen angekommen stellen wir uns gegenseitig kurz vor und erzählen welchen Stil wir erlernen. Ich bin erstaunt und überrascht, welche bunte Mischung hier doch angetreten ist. Von manchen Richtungen habe ich vorher noch nicht einmal den Namen gehört.
Lydia beginnt das Training mit einigen mir bekannten Übungen aus unserem Stil. So habe ich gleich zum Einstieg ein Erfolgserlebnis. Allerdings denke  ich mir schon, dass das nicht so bleiben wird. In dieser Überzeugung werde ich noch bestärkt, als wir dann eine Art Spiel spielen, in dem es um das eigene Alter ging. In zwei Gruppen sollen wir uns nach dem Alter sortieren. Die Jungen stehen vorn und mit zunehmender Lebenserfahrung ordnet man sich weiter nach hinten ein. Ich bin froh, dass ich nicht ganz als Letzte in unserer Reihe stehe.
Es gab aber keine Muße, um darüber nachzudenken, denn anschließend übernimmt Birgit das Zepter. Sie lässt uns Schläge und Sprünge in Vorbereitung auf den Freikampf ausführen, die uns schnell in Schwitzen bringen. Da kann ihr lautes RELAX noch so durch die Halle donnern, ich bin in kürzester Zeit schweißgebadet.
Ich hoffe einen Moment, dass es bei Li weniger anstrengend sein wird, werde aber sofort vom Gegenteil überzeugt. Dehnungsübungen und Sprünge schaffen es, dass meine Hose am Körper zu kleben beginnt. Das ist nicht besonders hilfreich, wenn man versucht, seine Beine so hoch wie möglich zu schwingen. Während Li beim Kungfu den Eindruck mache, als ob sie schwebe, komme ich mir eher wie ein Tanzbär vor.
Bei Jenny wird es nur scheinbar ruhiger, denn hier ist zusätzlich noch der Kopf gefragt. Aikido sieht nur auf den ersten Blick gelassen aus. Schritte, Drehungen und dazu noch Haltung mit Körperspannung bringen mich fast bis an meine Grenzen. Ehrlich gesagt, bin ich heilfroh, als das ganze Training vorbei ist. Worauf habe ich mich da nur wieder mal eingelassen?

Montag, 23.07. 2018

Die Sonne heizt schon am frühen Morgen gut ein. Zum Glück ist die Turnhalle in Gerdshagen ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten. Obwohl sie keine Klimaanlage hat, ist es noch relativ kühl darin. Zumindest wenn man das mit den Temperaturen außerhalb der Halle vergleicht. Ich bewundere die Frauen, die den Weg von Preddöhl per Fahrrad auf sich nehmen. Da wäre ich schon bei der Ankunft das erste Mal fix und fertig.
Es bleibt nicht viel Zeit zum Rumwundern, denn Lydia beginnt pünktlich mit dem Training. Schon beim Aufwärmen kommen die Arnis-Stöcke zum Einsatz. Ich fühle mich noch ganz gut, denn diese Sachen sind mir ja bekannt. Natürlich steigern sich die Anforderungen und als wir uns als Gruppe in Anfänger und Fortgeschrittene teilen sollen. Gehe ich lieber zu den Neulingen. Ein bisschen neidisch schaue ich zu meinen Dojo-Kolleginnen, aber ich kenne meine Schwachstellen und lasse die Experten lieber unter sich. Ich habe auch in dieser Gruppe genug zu tun, um die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Ab und zu kann ich mal nach rechts und links einen Ratschlag geben. Das schmeichelt meinem Ego.
Nach einer kurzen Pause ist Li an der Reihe. Nach ihrer Erwärmung wissen wir endgültig, was Schwitzen ist. Nicht, dass wir in uns der vorigen Runde ausgeruht hätten, aber da war eher der Kopf gefordert. Jetzt ist Kondition gefordert. Beine hoch und runter, eine ausgiebige Dehnungseinheit die an Yoga erinnert – und schon bin ich klatschnass geschwitzt. Die Kommandos werden teilweise in Deutsch und manchmal auch in Englisch gegeben. Dann geht es paarweise weiter und ich erwische zum Glück jemanden aus meinem Pritzwalker Kurs. Da kann ich notfalls etwas Rücksicht einfordern, denn meine Partnerin kennt mich und weiß, dass sie das Schlagkissen nicht zu hoch halten braucht. Immerhin bekomme ich einen einigermaßen anständigen Mawashi oder Roundhouse-Kick, wie er bei Li heißt, hin. Dann sollen wir zusätzlich springen und uns drehen. Und alles in Kombination. Kick, Sprung, Kick, Drehung, Kick. Oder anders herum? Ich bin leicht überfordert. Mir läuft das Wasser am Körper herunter. Die Hose klebt wieder an den Beinen und mir wird langsam klar, warum man Kickboxen in kurzen Hosen macht. Als ich mich umblicke, um zu verschnaufen, stelle ich fest, dass es etlichen anderen auch nicht besser geht. Einige steigen sogar schon aus. Ich halte gerade so bei der Stange und bin heilfroh, als es ans Dehnen geht.
Nach der Mittagspause übernimmt Jenny mit Aikido das Kommando. Allerdings erfolgen alle Anleitungen auf Englisch. Auch hier erinnert die Erwärmung stark an Yoga. Zwischendurch gibt es noch etwas, was an Tanzschritte erinnert. Es sieht elegant und mühelos aus, aber irgendwie will es mir nicht so recht gelingen alles nachzumachen. Die Ausführung der scheinbar leichten Bewegungen ist kompliziert. Irgendwie bin ich mit rechts und links überfordert. Liegt es am Wetter, daran, dass es die dritte Einheit am heutigen Tag ist oder bin ich einfach zu blöd? Wieder einmal schiele ich zu den anderen Mitstreiterinnen. Manch einer geht es ähnlich wie mir. Das tröstet mich. Und so freue ich mich an der Eleganz von Jennys Bewegungen während ihrer Erklärungen. Es sieht so spielerisch leicht aus, was sie macht. Ich habe nicht allein diesen Eindruck, denn ein bewunderndes Raunen geht durch die Halle, als sie eine unerwartete Drehung mit einem perfekten Block kombiniert.
Die Übungseinheit vier verspricht Freikampf. Ich fühle mich total erschöpft und möchte am liebsten schwänzen. Aber dann packt mich der Ehrgeiz und ich bleibe. Weil es schon spät ist und wir alle im wahrsten Sinne des Wortes etwas abgekämpft aussehen, nimmt Trainerin Birgit auf uns Rücksicht. Sie meint wir würden es etwas langsam angehen. Und schon dröhnt ihr RELAX durch die Halle. Eins, zwei und drei zu zählen, sollte eigentlich kein Problem sein. Doch auch das stellt sich als kompliziert heraus. Eins vor und eins zurück ist noch logisch. Zwei vor und eins zurück wird schon schwerer. Drei vor und eins zurück erweist sich schon ohne Technik als kompliziert. Als ich es mit einem Fauststoß kombinieren soll, habe ich das Gefühl, dass ich nicht mehr bis drei zählen kann. Köper und Geist geraten an ihre Grenzen und ich bin wieder klatschnass geschwitzt. Was für eine Erholung ist da sie gegenseitige Schüttelmassage, die den Abschluss bildet.

Dienstag, 24.07.2018

Ich habe an diesem Morgen das Qigong angeleitet und komme daher total entspannt in der Halle an. Jenny beginnt das Aikido mit ihrer genialen Erwärmung. Diesmal wird auch die Stimme eingesetzt und die ganze Halle vibriert von unseren Schreien. Dann geht es weiter mit Rechts-Links-Übungen. Die morgendliche Entspannung weicht und es klappt leider nicht viel besser als am Vortag. Jenny hat Geduld und erklärt immer wieder, was wir machen sollen. Ich übe beharrlich und tatsächlich funktioniert es ab und zu.
Nach der Pause steht Freikampf auf dem Programm. Schon die Erwärmung ist schweißtreibend. Die Temperaturen außerhalb der Halle sind wieder auf 30 Grad geklettert. Innen ist es vielleicht etwas kühler, aber nach kurzer Zeit klebt mir schon wieder die Hose an den Beinen. Partnerübungen werden angesagt. Natürlich wird auch rechts und links wieder gefordert. Ständig neue Partnerinnen sollen uns an wechselnde Situationen gewöhnen. Ich sehe ja den Sinn dahinter ein, gerate aber mehrmals an Schwarzgurte der verschiedenen Stile. Da denke ich so bei mir, dass die sich freuen werden, wenn ich mehr Angst als Kampfgeist zeige. Aber alle beweisen erstaunlich viel Geduld. Und so lerne ich einige Sachen, von denen ich hoffe, dass ich sie auch behalte. Schau an, der ungeliebte Freikampf kann sogar Spaß machen. Trotzdem bin ich froh, als die Mittagspause heran ist.
Lydia übernimmt das Kommando nach dem Mittag. Doch zuerst wollen wir ein Erinnerungsfoto machen. Das hört sich leichter an, als es getan ist. Wegen der Sache mit dem Datenschutz muss man auf Nummer sicher gehen, dass auch alle einverstanden sind, um die Bilder veröffentlichen zu können. Als dann endlich klar ist, dass alle die Erklärung unterschrieben haben, stellen wir uns zur Fotosession auf. Danach beginnt aber das Training. Heute stehen keine Stöcke auf dem Programm, sondern Teile aus einer Katta. Das ist eine vorgeschriebene Abfolge von Bewegungen, die wir je nach Gurtfarbe erlernen. Über die Wunshu bin ich ja eigentlich hinaus. Das bedeutet aber auch, dass ich sie lange nicht gemacht habe. Genau wie bei allem anderen ist es auch bei einer Katta so, dass wenn man sie nicht übt, sie langsam in Vergessenheit gerät. Als Lydia auffordert, dass sich diejenigen, die sie kennen, sich melden, zögere ich und hebe nur ganz vorsichtig meinen Arm. Erst als ihr auffordernder Blick mich streift, recke ich ihn nach oben. Wir bekommen eine Partnerin, aus einem anderen Stil und sollen mit ihr üben. Allerdings ist das Ganze als Zweierübung ausgelegt. Darauf bin ich gar nicht eingerichtet und somit reichlich verwirrt. Zum Glück stehen die Frauen aus meinem Dojo in der Nähe. Kurz entschlossen bauen wir uns nebeneinander auf und versuchen unser Bestes. Es ist nicht einfach. Einerseits muss ich schauen, was meine Mitstreiterinnen machen und anderseits habe ich ja noch die Partnerin aus dem anderen Stil, mit der ich arbeiten soll. Manchmal scheitert es schon an den Kleinigkeiten. Allein die Stände heißen unterschiedlich. Das gilt auch für die Tritte und die Blöcke. Trotzdem finden wir zueinander und üben beständig. Dabei geht die Zeit schnell vorbei. Zum Abschluss sollen drei unserer Berliner Braungurte die ganze Katta vorzeigen. Meine Übungspartnerin zeigt sich beeindruckt.
Nach einer kleinen Stärkung mit Kaffee und Keksen hat Li wieder das Sagen. Sie jagt uns durch die Halle, dass der Schweiß in Strömen fließt. Dann fragt sie auch noch, ob wir schon warm sind. Ein kollektives Schnaufen bestätigt das. Also gehen wir zum Dehnen über. Dehnen, dehnen und nochmals dehnen. Dann kommen Tritte an die Reihe. Einige der Namen sind mir bekannt, andere nicht. Zumindest weiß ich, was von mir erwartet wird, auch wenn ich es nicht immer so hinbekomme, wie ich es gern hätte. Wir bilden Dreiergruppen und machen Stand- und Stabilisationsübungen. Dann gehen wir zu Partnerübungen mit Schlagkissen über. Es werden Tritte mit Sprung und mit Drehung geübt. Meine Partnerin bringt mich schon mal ganz schön aus dem Gleichgewicht. Aber ich kenne sie und ihre Art, daher kann ich damit umgehen und bin nicht sauer. Dafür genieße ich die abschließende Shihatsu-Massage auf der Wiese doppelt.

Mittwoch, 25.07.2018

Es geht los mit Freikampf. Trainerin Birgit lässt ihr unnachahmliches RELAX durch die Halle schallen. Manchmal hängt sie aus Übermut noch eine Schlagkombination mit einem kräftigen BUH hintendran. Wir sind begeistert über so viel Power. Zu Beginn gibt es eine wilde Erwärmung mit Drehungen und Tritten. Dann sollen wir das Bein auf die Schulter einer Partnerin legen. Das hört sich schlimmer an, als es ist, denn ich finde mich schon nach drei Tagen erstaunlich beweglich. Außerdem gehen wir relativ vorsichtig miteinander um. Keine will unbedingt beweisen, dass sie mehr drauf hat, als die Mitstreiterinnen. Das ist einer der Gründe, warum ich am liebsten mit Frauen trainiere. Allerdings bin ich der Frau, der ich bei dieser Übung gegenüberstehe, wohl doch zu klein. Wir wechseln zu Jenny, die bisher jedes Training der Kolleginnen mitgemacht hat. Sie ist viel größer als ich und hat ebenfalls eine kleinere Partnerin. Um den Tausch zu begründen, sage ich, dass ich "to small" bin. Sie schaut auf mich herunter und grinst: "You are perfect." Na das ist mal eine Ansage! Ich glaube, ich bekomme mein Bein gleich zehn Zentimeter höher als sonst. Dann geht es ans Eingemachte. Wir üben die Sequenz von gestern und erweitern sie um einige Nuancen. Hatte ich erwähnt, dass ich Freikampf nicht mag? Jedenfalls habe ich so viel Spaß, dass ich manchmal lachend durch die Halle hüpfe. Das liegt unter anderem auch daran, dass ich mich über mich selbst amüsiere. Es ist schon erstaunlich, wie oft man rechts und links verwechseln kann, auch wenn man jeweils nur zwei Arme und Beine hat. Eigentlich war hüpfen bei mir in der letzten Zeit nicht so sehr angesagt. Jetzt macht es mir nichts mehr aus. Schon nach zwei Tagen intensiven Trainings scheint mein Körper dehnbarer und auch irgendwie kräftiger. Erstaunlich. Schade, dass an diesem Nachmittag kein Training ist. Mir wird direkt was fehlen.
Nach der Pause steht aber erst einmal Aikido an. Ohne Frage bringt uns Jenny sofort wieder zum Schwitzen. Vor allem die Dehnung hat es in sich. Doch während ich die Zähne zusammen beiße, denke ich, dass man solche Übungen viel öfter machen sollte. Leider kenne ich meinen inneren Schweinehund und so wird daraus sicher nichts werden. Beim Üben bauen wir auf das schon Gelernte auf. In ihrer unnachahmlichen Art erklärt Jenny uns, was sie von uns erwartet. Das Ganze ist auf Englisch, aber meine Sprachkenntnisse reichen. Ich glaube, auch wenn man kein Wort verstehen würde, begreift man, worum es geht. Irgendwann kommen dann Würfe an die Reihe. Während ich zuerst noch denke, dass ich mich davor dann doch drücken werde, kullere ich kurze Zeit später über den Hallenboden. Erstaunlicherweise habe ich auch hierbei Spaß. Die ganze Trainingseinheit endet mit einer Sequenz Dehnung, die es in sich hat. Bei einer rechts seltsamen Pose fragt Jenny, wie man diese denn nennen könne. Alle sind sich einig und stöhnen gemeinsam FROG. Trotzdem grinsen wir.
Der Nachmittag ist, wie schon erwähnt frei. Man kann Baden, Reiten, Relaxen. Jede mag das tun, was ihr gefällt. Auch mal schön.

Donnerstag, 26.07.2018

Das erste Training übernimmt Li. Das heißt: Tritte, Tritte, Tritte. Aber was ist nur los mit mir? Gestern habe ich mich noch gefühlt, als könnte ich Bäume ausreißen. Und heute? Anstatt zu hüpfen, schlurfe ich über den Boden und bin schon nach wenigen Minuten schweißnass, ohne wirklich viel getan zu haben. Natürlich ist es draußen unheimlich warm. Aber das kann es nicht allein sein. War die Pause am gestrigen Nachmittag kontraproduktiv? Während ich noch darüber nachdenke, wechseln wir zur Dehnung. Was für ein Glück. Es zwickt und zwackt zwar überall, aber wenigstens habe ich nicht mehr das Gefühl ein nasser Waschlappen zu sein. Dann beginnen die Partnerübungen und ich vergesse meine Befindlichkeiten und konzentriere mich auf die Aufgaben. Wieder einmal bin ich erstaunt, wie hoch ich meine Beinchen doch schmeißen kann. Mein Körper scheint sich besonnen zu haben.
Das Gehirn hängt allerdings immer noch im Ruhemodus. Das merke ich peinlich berührt, als wir in der nächsten Runde mit Lydia Stockkampf trainieren. Eigentlich sollten mir die Grundlagen aus unserem Stil bekannt sein. Aber ich verwechsle die einfachsten Sachen und verstecke mich wieder in der Gruppe der Anfängerinnen. Etwas traurig schaue ich zu meinen Mitstreiterinnen bei den Fortgeschrittenen, die sich souverän auf diesem Terrain bewegen. Aber ich halte durch und bin etwas getröstet, als ich in der Mittagspause höre, dass auch andere Frauen Schwierigkeiten mit rechts, links, oben, unten und dem ständigen Seitenwechsel haben. Was für ein Glück! Ich bin nicht allein mit meinen Problemen.
Nach dem Mittag steht Freikampf auf dem Plan. Birgit erheitert uns bei der schweißtreibenden Erwärmung mit ihren unnachahmlichen RELAX-Rufen. Wir grinsen, aber das Wasser läuft uns schon nach den ersten Minuten in Strömen am Körper herunter. Es wird noch schlimmer, als es dann richtig zur Sache geht. Wir haben uns in Vierergruppen zusammengefunden. Davon soll sich jetzt jeweils ein Paar gegenüber stehen, um sich einen Fight zu liefern. Die anderen Beiden fungieren als Coach. Meine Gruppe nimmt das Ganze, wie angesagt, ziemlich relaxt und so habe ich Spaß. Allerdings ist es unheimlich warm. Alle sind klatschnass. Selbst als ich dann als Coach antrete, spüre ich wie mir die Schweißtropfen über Gesicht und Rücken rinnen. Da kommt mir die Pause dann mehr als nur recht.
Eine Viertelstunde ist nicht lang. Und abgekühlt hat es sich nicht. Wie denn, wenn es draußen Hochsommer ist? Trotzdem geht es weiter. Aikido-Trainerin Jenny erklärt uns nach der obligatorischen Sequenz aus Erwärmung und Dehnung die heutige Aufgabe. Sie lautet: Abwehr eines Messerangriffs. Das klingt dramatisch, ist es aber nicht, denn es handelt sich um einen vorgeschriebenen Ablauf. Außerdem sind unsere Übungsmesser aus Holz. Die Verletzungsgefahr ist also ziemlich gering. Allerdings bedeutet "vorgeschriebener Ablauf", dass der Kopf einen nicht geringen Anteil am Erfolg der Übung hat. Bei mir dauert es wieder einmal eine ganze Weile, bis die Füße dort stehen, wo sie auch stehen sollen. Zwischendrin zeigt uns Jenny immer wieder, wie man mit wenig Kraft und flinken Drehungen seinen Gegner zu Fall bringen kann. Was sie so elegant vorführt, fällt den Meisten von uns nicht ganz so leicht. Trotzdem liegen die ersten schnell auf dem Boden. Natürlich heißt es auch hier, dass die Übung den Meister macht. Zwischendurch werden wir immer wieder zusammen gerufen und auf mögliche Haltungsfehler aufmerksam gemacht. Die Art in der uns Jenny das erklärt ist unnachahmlich. An ihr ist glatt ein Pantomime verloren gegangen. Und  so haben wir trotz aller Anstrengungen noch jede Menge zu Lachen. 

Freitag, 27.07.2018

Nun beginnt der letzte Trainingstag. Wie schnell ging das denn? Uns bleibt aber keine Zeit, um Wehmut aufkommen zu lassen. Heute werden alle Trainings kürzer und intensiver. Wir beginnen unter Lydias Anleitung mit dem Stockkampf. Ich komme mit meiner holländischen Partnerin gut zurecht und bin ganz stolz auf meine Fertigkeiten. Endlich beherrsche ich die richtige Abfolge. Was für ein tolles Gefühl.
Uns bleiben fünf Minuten Pause um uns zu dehnen und Li übernimmt das Zepter. Heute sollen wir alle drei Tritte aus den vorangegangenen Tagen zu einer Sequenz zusammenfügen. Meine Partnerin bei dieser Übung leitet in ihrem Stil schon seit Jahren erfolgreich eine eigene Übungsgruppe. Das kann ja nur peinlich werden, befürchte ich. Aber es klappt erstaunlich gut mit uns beiden. Ich mache mir keine Illusionen. Es liegt garantiert nicht an mir, sondern an meiner geduldigen Trainingspartnerin. Von ihr bekomme ich hilfreiche Hinweise und schaffe sogar einige gesprungene Tritte, die nicht ganz so murklig aussehen wie am Vortag.
Nach einer kurzen Rast tönt Birgits RELAX wieder durch die Halle. Wir streifen die Schützer über und beginnen mit dem Freikampf. Mal greift die eine an, mal die andere. Partnerinnenwechsel. Weiter. Wechsel. Weiter. Der Schweiß läuft. Es ist anstrengend. Trotzdem bleibt noch Zeit um ab und zu mal über die eigene Ungeschicklichkeit zu lachen.
Aikido mit Jenny macht den Abschluss. Körperlich fahren wir etwas herunter. Die Techniken sind nicht ganz so schweißtreibend, aber dafür ist der Kopf mehr gefordert. Der ist inzwischen natürlich auch nicht mehr zu Hochleistungen fähig. Trotzdem schaffen wir es, die Bewegungsabläufe, die uns Jenny in ihrer humorigen Art vorgibt, einigermaßen korrekt nachzustellen. So etwas wie Stolz stellt sich ein.
Und dann ist es plötzlich vorbei. Die Zeit ist um. Kaum zu glauben wie schnell die Woche vorüber ging. Wir sitzen im Kreis, um uns voneinander zu verabschieden. So viele unterschiedliche Frauen, verschiedene Stile und sogar Sprachen! Wir waren uns einige Tage ganz nah –und jetzt verstreut uns das Leben wieder in alle vier Winde. Wehmut macht sich breit, als wir uns bei den Trainerinnen, Helfern und auch beieinander bedanken. Vielleicht sieht man sich irgendwann und irgendwo einmal wieder. Vielleicht aber auch nicht. Diese Tage im Juli kann uns jedoch keiner mehr nehmen.




Freitag, 13. April 2018

Dreiklang: Drei Worte – Drei Genres (2)


Das habe ich nun davon – ich wollte ja unbedingt ein Mitmach-Projekt!

Darum habe ich auf meiner Facebook-Seite einen Aufruf gestartet bei dem ich jeweils 3 Begriffe suche. Bekommen habe ich diese Wörter:
Surfbrett, Achterbahn, Hasenstall, Lebewesen, Badewanne, Birkenfeige, Werkzeuge, Sperrmüll, Autoreifen, Sonnenbrille, Sonnenstuhl, Baguette, Rotwein, Iltisbau, Wlan-Router, Küchenreibe, 

Mein Dank geht an: Diana Richter, Birgit Geiger, Ute Dippel, Martina Kastrati und Karin Toedtloff

Ehrlich gesagt hatte ich mit Badewanne, Werkzeuge und Rotwein am liebsten gearbeitet.
Aber was habe ich gelost?

Achterbahn, Birkenfeige und (Haltet euch fest!) Iltisbau! 

Und dabei sitzt mir heute die Zeit im Nacken und ich muss mich beeilen, weil ich noch andere Aufgaben zu erledigen habe. Also an die Arbeit!

1. Liebesroman
Edith schloss die Tür zu der Wohnung im Dachgeschoss auf. Ein penetranter Geruch kam ihr entgegen. Das roch ja hier wie im Iltisbau! Sie unterdrückte den Würgereiz und stürmte zum nächsten Fenster, um es weit aufzureißen. Aufatmend lehnte sie sich hinaus und riss erstaunt die Augen auf. Natürlich hatte sie gewusst, dass sie sich im letzten Haus in der Straße befand, aber mit diesem Anblick hatte sie nicht gerechnet. Ihr Blick fiel auf einen etwa 20 Meter breiten Streifen einer wilden Wiese und danach begann der Wald. Dort standen Tannen, die waren höher als das Fenster der Mansardenwohnung, aus dem sie blickte. Ein Duftgemisch aus feuchter Erde, Harz und etlichen Nuancen, die sie nicht benennen konnte, wehte zu ihr herüber. Sie seufzte tief. Für diesen Ausblick schien es sich tatsächlich, gelohnt zu haben, dass sie diese Behausung ohne vorherige Besichtigung gemietet hatte. "Wer macht denn schon so was Bescheuertes?", glaubte sie, die Stimme ihrer Mutter zu hören. "Nun dreh dich schon um und schau dir an, in was für einer Bruchbude du gelandet bist.", höhnte es in ihrem Kopf weiter. Energisch schüttelte Edith den Kopf, ganz so als könne sie die bösen Gedanken vertreiben. Nach einem letzten Blick auf den Wald wandte sie sich um. Zumindest wollte sie am Fenster stehen bleiben, bis sie sich etwas an den Gestank gewöhnt hatte. In ihrer Panik beim Hereinkommen war sie in der Küche gelandet. Hier gab es nur einen Herd, einen uralten Schrank, einen Tisch mit zwei Stühlen und eine Spüle. Dort schien auch die Ursache des furchtbaren Geruchs herzukommen. Sie wagte einen Schritt nach vorn und spähte vorsichtig in das rechte Becken. Tatsächlich. Dort stand ein Topf mit irgendetwas Undefinierbaren, dass anscheinend dabei, war in flauschiger Pilzform über den Rand zu wachsen. Na wenigstens war es kein totes Tier, was da verweste, sondern nur das vergessene Essen des Vormieters. Erleichtert wagte sie sich durch den quadratischen Flur in das Zimmer, welches wahrscheinlich als Wohnzimmer gedacht war. Es war bis auf eine vollkommen vertrocknete Birkenfeige leer. Auch das Minibad mit Toilette und Dusche bot zu Glück keine weiteren unangenehmen Überraschungen.
Das Ganze war nicht toll und auf keinen Fall mit ihrer bisherigen Wohnung zu vergleichen. Aber alles erschien ihr besser, als noch weiter mit Max zusammen zu wohnen. Falls sie die Ärmel hochkrempelte und etwas putzte, dann könnte sie hier die nächsten Tage gut überleben. Und wenn sie erst einmal diesen ekligen Topf entsorgt hätte, dann würde sicher auch der Gestank verschwinden. Immerhin konnte sie das Fenster Tag und Nacht offenlassen. Wer bei ihr einsteigen wollte, der müsste schon ein geschickter Fassadenkletterer sein. 
Noch am Abend desselben Tages wuchtete Edith einen schweren Koffer nach oben. Er enthielt neben einigen Wechselsachen eine Luftmatratze. Auf der würde sie in den kommenden Nächten schlafen. Es lohnte sich nicht, ein Bett aufzustellen. In weniger als drei Wochen war sie weg. Weg aus dieser Stadt, weg aus diesem Land.
Nachdem sie ihr Schlaflager aufgebaut hatte, ging sie in die Küche und goss sich ein Glas Wasser ein. Sie setzte sich an den Tisch und holte einen Brief aus ihrer Jeans. Er war zerknittert und zerrissen. Als sie ihn glättete, fuhren ihre Gefühle Achterbahn. Max hatte ihn geöffnet, weil er sich wunderte, wieso sie einen Brief aus Dänemark bekam. Was er dort zu lesen bekam, gefiel ihm nicht. Er bekam auf der Stelle einen seiner gefürchteten Wutausbrüche. Bisher waren seine Brüllattacken zwar unangenehm gewesen, aber sie waren nicht in Handgreiflichkeiten ausgeartet. Diesmal war es anders. Er packte und schüttelte sie, während er schrie. Noch nie hatte sie solche Angst verspürt. Hals über Kopf rannte sie davon. Zum Glück wusste sie von dieser Mansardenwohnung, die den Eltern ihrer Freundin Karin gehörte. Es brauchte nicht viel Überredungskunst, den Schlüssel zu bekommen. Man sah ihr an, dass sie keinesfalls in die gemeinsame Wohnung zurückkehren konnte. Zu ihren Eltern konnte sie nicht, denn ihre Mutter vergötterte Max und sah nicht einen seiner Fehler. Sie würde sie postwendend zurückschicken und war noch nie eine Hilfe gewesen, wenn es um die zahlreichen Streitigkeiten zwischen dem jungen Paar ging. Sie stand immer auf der Seite ihres Schwiegersohnes in spe, wie sie Max liebevoll nannte. Wie es Edith in dieser Beziehung ging, war ihre egal. Ein Doktor und eine Kindergärtnerin. Da solle sie doch froh sein, einen solchen Mann zu bekommen!
Innerlich hatte sich Edith schon lange aus dieser Beziehung verabschiedet, auch wenn ihr der letzte Schritt noch schwerfiel. Um einen Schnitt zu machen, bewarb sie sich daher auch heimlich in einem dänischen Kinderheim. Und genau diese Zusage war Max in die Hände gefallen. Irgendwie war es ja auch verständlich, dass er sich hintergangen fühlte. In weniger als drei Wochen würde sie ihren neuen Job in einem anderen Land antreten.
Ob der Chef, der sich als Lars vorgestellt hatte, auch so nett war, wie er über Skype rüber kam? Mit diesem Gedanken legte sie sich auf ihr provisorisches Nachtlager und schlief sofort ein. Sie träumte vom Meer, von lachenden Möwen und einem blonden Dänen, der sich schon ein wenig in ihr Herz geschlichen hatte. 

2. Krimi
Kommissar Medved grummelte wütend vor sich hin. Wieso hatte er sich bloß dazu überreden lassen, wieder einmal den tollen Papa zu spielen? Während seine Tochter und ihre affige Freundin eine Attraktion nach der anderen auf dem Rummelplatz ausprobierten, stand er sich hier die Beine in den Bauch. Er wäre viel lieber mit Lisa allein gewesen, hätte sich mit ihr unterhalten und die gemeinsame Zeit für etwas genutzt, was wirklich gut für eine Vater-Tochter-Beziehung war. Stattdessen zog er mit zwei Halbwüchsigen von Bude zu Bude. Die Mädchen waren heute wieder einmal nicht zu bremsen. Sie kicherten und gackerten die ganze Zeit. Und alles mussten sie ausprobieren. Achterbahn, Riesenrad, Gespensterbahn. Und er konnte bezahlen. Die Preise waren ja ganz schön saftig! Wer hier mit drei oder mehr Kindern hinging, der konnte ein kleines Vermögen auf dem Platz lassen. Zwei Kinder reichen auch schon, um jemanden in den Ruin zu treiben, dachte er missmutig, und beobachtete wie die Beiden sich am Schießstand drängelten. So ein Schwachsinn! Geld ausgeben für Papierblumen, die dann doch über kurz oder lang im Müll landen würden. Oder noch schlimmer. Nach dem letzten Rummelbesuch hatte seine Tochter den Ficus in seinem Büro mit den albernen Blumen geschmückt. Die Kollegen hatten ihn tagelang aufgezogen, womit der denn seine Birkenfeige gedüngt hätte, dass sie Blüten trägt. Medved verzog das Gesicht. Doch er riss sich zusammen, als die Mädchen zurückkamen und lächelte gekünstelt. "Na habt ihr Spaß", fragte er und wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen. "Jetzt gehen wir zur Wahrsagerin", flüsterte seine Tochter aufgeregt und zog ihn mit sich fort. "Auch das noch!", murmelte er, als er den saftigen Preis für zwei Tickets bezahlte. Es dauerte etwa zehn Minuten, als die kleinen Gänse wieder kichernd aus dem Zelt der Sibylle kamen. Was für ein schönes Leben doch auf sie warten würde, schnatterten die Mädchen aufgeregt. "Papa, du musst unbedingt auch hinein gehen!", forderte ihn sein Kind auf. "Oh ja, oh ja", fiel die Freundin ein. Der Kommissar wusste, dass er keine Chance gegen die Beiden hatte, bezahlte und schob seufzend den Zelteingang beiseite. Drinnen war es genauso, wie er es erwartet hatte. Eine Frau unbestimmbaren Alters, mit bunten Kleidern und übermäßig viel falschem Schmuck behangen, saß hinter einem Tisch mit einer Glaskugel. Medved nahm ihr gegenüber Platz und schüttelte sich innerlich. Auf ihrer Schulter saß ein Frettchen. In der Scheune seines Elternhauses hatte einmal ein Iltis gewohnt. Als das Gebäude irgendwann abgerissen wurde, hatte der längst verlassene Iltisbau immer noch fürchterlich gestunken. Wie konnte man sich nur freiwillig mit so einem Tier abgeben? Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, hatte die Wahrsagerin seine Hand genommen und hineingeblickt. "Du stellst die falschen Fragen", meinte sie zu ihm. Er sah sie erstaunt an. Was meinte sie damit? "Es geht nicht immer um Geld. Was ist manchen Menschen wichtiger als Reichtum?" Die Hexe schwieg eine Weile und lies seine Hand los. "Warum bist du mit den Mädchen auf den Rummelplatz gekommen?" Er antwortete nicht. "Du wolltest der Gute sein, der Papa der Kinderträume erfüllt. Es sollte perfekt nach außen sein. Wenn Lisa nach Hause kommt, soll sie deiner geschiedenen Frau erzählen wie toll, der Nachmittag mit ihrem lieben Vati gewesen ist." Woher wusste sie, dass er geschieden war und wie seine Tochter hieß? Doch dann begann er über seine Naivität den Kopf zu schütteln. Natürlich. Die Kinder waren doch vor ihm bei der Wahrsagerin gewesen! Beinahe wäre er auf diese Betrügerin reingefallen. Doch da für sie schon fort: "Ich weiß, dass du lieber in deinem Büro sitzen würdest, um an dem Fall der ermordeten Frau vom Vorstandsvorsitzenden Krämer zu arbeiten. Aber du wolltest den Schein aufrechterhalten, dass dir deine Verpflichtungen dem Kind gegenüber wichtiger sind. Obwohl es nichts bringt, wenn diese fürchterliche Babsi mit dabei ist. Und genau das ist es, was manche Menschen dazu treibt, Sachen zu machen, die nicht richtig sind. Nach außen soll alles perfekt sein. Und dafür verbiegen sich einige Leute und andere Typen gehen sogar über Leichen." Medved stand auf. Es reichte ihm. Natürlich war in der Tageszeitung ein ausführlicher Bericht über den Mord an der Industriellengattin gewesen. Sicher wusste die Alte daher, dass er die Ermittlungen leitete. "Betrügerin", murmelte er noch im Hinausgehen. Doch die Frau rief ihm hinterher: "Vielleicht wusste der Krämer das von dem Reitlehrer und seiner Frau? Hast du das Mal in Erwägung gezogen? Wie ich sagte: Die Menschen machen so einiges, um den Schein zu wahren."
Der Kommissar stutzte. Bisher waren er und seine Kollegen davon ausgegangen, dass Frau Krämer das Opfer eines Raubmordes gewesen sei. Hauptverdächtiger war der Reitlehrer, denn bei ihm fand man eine wertvolle Kette der Toten und eine ihrer Kreditkarten. Was aber, wenn man ihm das untergeschoben hatte? Medved rieb sich das Kinn. Der Reitlehrer war ziemlich am Boden zerstört, als man ihm mit dem Mord an seiner Schülerin konfrontierte und regelrecht zusammengebrochen. Vielleicht war das kein Schuldgeständnis, wie man vermutete? Sein Alibi war nicht ganz wasserfest, denn er arbeitete zur Tatzeit allein in der Reithalle, um ein neues Pferd zu trainieren. Wo aber war Krämer gewesen, der jetzt den trauernden Hinterbliebenen spielte. Vielleicht sollte er seine weiteren Ermittlungen in diese Richtung lenken? In seiner Laufbahn war es oft genug vorgekommen, dass es nicht so war, wie es auf den ersten Blick aussah.
Mit den maulenden Mädchen im Schlepptau strebte Kommissar Medved rasch dem Ausgang zu.

3. Fantasy
Marla schüttelte sich vor Ekel. Da hatte sie doch tatsächlich in eine Kröte gefasst! Was für eine blöde Idee das Artefakt ausgerechnet in einem Iltisbau zu verstecken! Jeder in ihrer Familie wusste, dass die kleinen Räuber diese warzigen Lurche mit einem Nackenbiss lähmten und dann fangfrisch in ihren Vorratslagern aufbewahrten. Ihr Vater war Spezialist für alle Raubtiere des heimischen Waldes, die kleiner als ein Fuchs waren. Er konnte stundenlang darüber erzählen, ohne dass es den Zuhörern langweilig wurde. Doch jetzt war er schon über zwei Jahre tot und seine Stelle versuchte gerade dieser unsympathische Rudolf einzunehmen. Der wollte Rudi genannt werden und sich alles unter den Nagel reißen. Die Mutter, das Haus und natürlich auch die Besitztümer, die einmal Marlas Vater gehört hatten. Das, was sie jetzt suchte, hatte sie gerade noch vor ihm in Sicherheit bringen können. Vor einigen Wochen ging er ins Arbeitszimmer ihres Vaters, stellte seine Bücher ins Regal und belegte den Schreibtisch mit Beschlag. "Was kuckst du so?", fuhr er sie an, als sie ihm entsetzt dabei zusah. "Das ist jetzt mein Büro. Hier werde ich arbeiten, wenn ich bei euch eingezogen bin." Dann eilte er mit wichtiger Miene nach draußen, um einen Karton mit seinem Schreibkram zu holen. Diese kurze Zeit hatte Marla genutzt um das kleine silberne Kästchen vom Regal zu nehmen und im Topf der riesigen Birkenfeige, die in der Zimmerecke stand, zu verbergen. Es war Sommer und sie hatte nur einen kurzen Rock und ein leichtes Top an. Da gab es nichts, wo sie den wertvollen Schatz hätte verstecken können. Zum Glück war die Erde des Ficus mit Moos bedeckt, unter das sie das Kästchen schieben konnte. Er durfte es auf keinen Fall in die Hände bekommen. In der Nacht darauf war sie aufgestanden und hatte das Artefakt geholt und im Iltisbau versteckt. Dummerweise war diese Stelle, in der sie jetzt herumtastete, vor einer Woche noch leer gewesen. Daher hatte sie gedacht, dass es ein prima Aufbewahrungsort sei.
Sie überwand ihren Ekel vor den gelähmten Kröten und tastete weiter. Endlich spürte sie etwas Metallisches. Da war es! Marla wischte es mit dem Ärmel ihrer Strickjacke sauber. Vor Kurzem war ein kräftiger Regenguss heruntergekommen und die Luft war sauber und kühl. Der Vollmond stand hell und tröstend am Himmel. Es war genau die richtige Zeit und das passende Wetter. Jetzt durfte sie keine Zeit mehr verlieren. Wenn man sie vermissen und nach ihr suchen würde, dann konnte sie die Sache vergessen. Es würde ewig dauern, bis alle nötigen Gegebenheiten wieder so ideal für ihr Vorhaben waren. Und vielleicht nahm man ihr auch noch das Kästchen ab. Mit raschen Schritten eilte sie in den Wald. Der Mond leuchtete zwischen die Bäume, aber auch ohne seinen Schein hätte sie den Weg gefunden. Sie war ihn sicher schon tausendmal gegangen. Nach etwa einer halben Stunde blieb sie auf einer Lichtung stehen. Sie holte tief Luft und warf einen letzten Blick auf das Artefakt. Was für eine komische Bezeichnung für so ein Kästchen, dachte sie nicht zum ersten Mal. Ihr Vater hatte es so genannt. Als er krank wurde, zeigte er es ihr und erklärte, was sie damit machen sollte. Wenn das Wetter und der Mond günstig wären, könnte ihr dieses auf den ersten Blick recht unscheinbare Teil aus großer Not helfen. Das war jetzt aber auch wirklich nötig. Rudi und ihre Mutter hatten vor einer Woche geheiratet. Gestern Abend war sie, weil sie nicht schlafen konnte, noch in die Küche gegangen, um sich etwas zu trinken zu holen. In den Tagen vor und nach dem Vollmond bekam sie immer Probleme mit dem Einschlafen. Dabei ging sie an der angelehnten Tür des Wohnzimmers vorbei und hörte, wie Rudi ihre Mutter überzeugen wollte, Marla in ein Internat zu geben. Sie sollte fort von hier! Der Wald, die Tiere und das Grab ihres Vaters waren doch alles, was ihre Welt ausmachte. Niemals würde sie in eine Schule für Mädchen gehen! Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie lief weg oder sie probierte diese Sache aus, von der sie so gar nicht überzeugt war. Was soll es, dachte sie sich und öffnete das Kästchen.
Da drinnen lag ein winziges Ei. Marla sah sich suchend nach einer geeigneten Stelle um. Es müsse weiches, feuchtes Moos sein, das vom Schein des Vollmondes wie Silber glänzen würde, hatte Vater gesagt. Nach kurzer Zeit entdeckte sie den perfekten Platz und legte das kleine Ei dort ab. Dann stach sie sich mit der mitgebrachten Nadel in den Finger und ließ drei Blutstropfen auf die makellose weiße Schale fallen. Diese veränderte sich augenblicklich und schien Risse und Brüche zu bekommen. Gleichzeitig blähte sich das Ei auf. Sie trat erschrocken einen Schritt zurück. Es schien tatsächlich zu funktionieren. Als das Ei ungefähr die Größe eines Fußballs hatte, veränderte es sich erneut. Die Schale wurde dunkel, fast schwarz und schient trotzdem von innen zu leuchten. Jetzt war die Zeit gekommen um die magischen Worte zu sprechen. Hoffentlich verwechselte sie nichts. Vor Aufregung schien ihr Magen Achterbahn zu fahren. Sie schlucke und sprach dann mit zitternder Stimme, die drei Verse aus dem Buch der Schatten, die ihr Vater ihr beigebracht hatte.
Als sie fertig war, geschah zuerst einmal nichts. Marla wollte schon verzweifeln. Hatte sie etwas verdreht oder falsch ausgesprochen? Doch dann gab es einen leisen Plopp, das Ei zerbrach und heraus kam ein seltsames kleines Fabelwesen. Es sah aus wie eine Katze mit drei Schwänzen, hatte Flügel und den Kopf eines Fisches. "Hallo Marla", sagte es mit heiserer Stimme. "Wird ja Zeit, dass du mich endlich aufweckst. Ich hatte schon viel früher mit dir gerechnet. Warum hast du diesen schrecklichen Rudi überhaupt so lange ertragen?"
Dem Mädchen fielen fast die Augen aus dem Kopf. "Wer bist du? Oder was bist du?" Das seltsame Geschöpf sah an sich herunter, grinste, soweit ein Fischmaul grinsen kann, und schüttelte sich dann. Sogleich verwandelte es sich in ein kleines Männchen. "Ich bin ein Kobold, der sich gern einmal einen Scherz erlaubt. Gibt zu, du hast nicht schlecht gestaunt, als du dieses dreischwänzige, geflügelte Katzenfischdings erblickt hast. Mit meiner echten Gestalt hinterlasse ich niemals so einen gewaltigen Eindruck." Der kleine Kerl grinste geradezu unverschämt. Doch dann verbeugte er sich "Mein Name ist Arlo. Ich bin ein Freund deines Vaters und ich bin gekommen, um dich nach Rosenhort zu begleiten."
"Ich verstehe gar nichts", meinte Marla, als sie von fern Rufe durch den Wald schallen hörte. "Sie suchen nach dir", meinte Arlo. "Es ist Zeit, das wir verschwinden." Er wandte sich um und lief schneller, als man es ihm je zutrauen würde, davon. "Kommst du? Oder willst du doch ins Internat?", rief er ihr über die Schulter zu. Das Mädchen schüttelte den Kopf und folgte dem Kleinen, der schon fast hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war. Es war verrückt, das zu tun! Aber alles war besser als ins Internat zu müssen.

Freitag, 6. April 2018

Dreiklang: Drei Worte – Drei Genres (1)


 

Heute: Teetasse, Kleid, Magen

 

1. Liebesroman:

Karla zog ihr Kleid aus und warf es wütend in die Ecke. Wofür hatte sie sich nur all diese Mühe gegeben? Es war wie verhext! Die Typen aus dem Internet entpuppten sich alle als Spinner, Machos oder Mogelpackung. Das war jetzt ihr fünftes Blinddate und jedes Mal wurde sie frustrierter. In der Fernsehwerbung gaukelten sie den Zuschauern Männer vor, die nach einer echten Beziehung suchen würden. Und was hatte das Leben in Wahrheit zu bieten? Der schmierige Kerl heute, der keineswegs Ähnlichkeit mit seinem Profilbild hatte, wollte sie doch glatt am ersten Abend zu einem flotten Dreier einladen. So eine Unverschämtheit! Dabei hatte er unter der Überschrift "Meine Vorstellungen von einer Partnerschaft" solche Worte wie monogam und Treue angekreuzt. Eine bodenlose Frechheit! Sie konnte sich gar nicht beruhigen und murmelte unablässig vor sich hin, während sie Teewasser aufsetzte.
Kurz bevor das Wasser kochte, klingelte es. Wer war denn das nun noch! Sie konnte jetzt wirklich niemanden gebrauchen. Höchstens, um ihren Frust abzulassen. Immer noch aufgebracht, stampfte sie zur Tür und riss sie auf. Wenn da jetzt die Zeugen Jehovas standen, die könnten was erleben!
Aber es war nur Johannes, ihr Nachbar, der sie mit schief gelegtem Kopf ansah. "Ist wohl nicht so gut gelaufen?", meinte er mit einem Blick auf ihr Gesicht. Mit einer Handbewegung bat sie ihn herein und brummelte, ob er auch eine Tasse Tee wolle. Ohne auf seine Antwort zu warten holte sie einen zweiten Becher aus dem Schrank und warf einen Teebeutel hinein. Er sah ihr schweigend zu, wie sie das Wasser aufgoss. Irgendwie tat seine Nähe gut und Karla merkte, wie sie sich langsam beruhigte. "Nee, war voll der Reinfall", gab sie kleinlaut von sich.
"Hey Karla-Mädchen, nimm das nicht so schwer. Vielleicht ist die ganze Sache mit dem Internet nicht so wirklich dein Ding. Versuch es doch mal im echten Leben."
"Wie soll ich denn irgendwann irgendwo irgendwem kennenlernen, der zu mir passt?", fauchte sie zurück. "Ich arbeite in Schichten als Altenpflegerin. Entweder bin ich auf Arbeit oder müde. Und die Sache mit dem Single-Urlaub habe ich auch schon ausprobiert. War genauso ein Reinfall!"
Er hielt seine Tasse hoch und pustete, als ob ihm der Tee zu heiß wäre. "Kennst du Goethe?", murmelte er leise.
"Was ist das jetzt für eine Frage? Na klar!"
Johannes holte tief Luft: "Warum in die Ferne schweifen.. "
Der Blick aus seinen Augen traf sie unvermittelt und fuhr wie ein Stich in ihren Magen.
"Meinst du: das Gute liegt so nah?", fragte sie heiser, während sie verlegen in ihrer Teetasse rührte.
Er nickte. Und als sie nichts sagte, murmelte er etwas von "nur so einer Idee" und drehte er sich mit einem entschuldigenden Schulterzucken zur Tür.
"Warte" rief sie, fasste ihn bei der Hand und zog ihn zurück. "Das ist keine schlechte Idee" grinste sie und fiel ihm um den Hals.

2. Krimi

Kommissar Sören Goldberg betrachtete nachdenklich die Witwe des Opfers. Sie sah wie eine Elfe aus. So zart und rein. Allerdings wirkte sie auf den Beamten wie ein geschundenes Fabelwesen. Auf ihrer rechten Gesichtshälfte zeichnete sich ein regenbogenfarbiger Bluterguss ab. Ihre Hände, die eine Teetasse hielten, zitterten leicht. Das war kein Wunder, war sie doch erst vor kurzem einem Anschlag, der ihren Gatten das Leben gekostet hatte, knapp entgangen. Jemand hatte die Bremsen seines Autos manipuliert, so dass es beim Fahren über die Serpentinen am nahegelegenen Germanpass aus der Bahn geriet und in den Abgrund stürzte. Das Maria Richard aus dem Auto geschleudert wurde, rette sie vor dem sicheren Tod.
Rudolf Richard galt als kein angenehmer Mensch. Als Bauunternehmer war er skrupellos, als Arbeitgeber ein Sklaventreiber und angeblich hätte er sogar Beziehungen zur Mafia unterhalten. Es gab also jede Menge Verdächtige. Allerdings machte sich Kommissar Goldberg kaum Hoffnungen, dass man den Täter je finden würde. Die hiesige Polizei war überfordert. Und wenn der Verbrecher tatsächlich aus Mafiakreisen kam, hatte man kaum eine Chance ihn zu überführen. Die Typen waren einfach zu clever, dachte er zerknirscht. Wider besseren Wissens, versicherte er der Witwe, dass man den Mörder finden und zur Rechenschaft ziehen würde. Er erhob sich, um sich zu verabschieden, als die Tür aufgerissen wurde. Herein stapfte eine junge Frau in Jeans und Schlabberpullover, die die Anwesenden mit einem verächtlichen Blick musterte. Martha Richard war die Tochter des Opfers aus erster Ehe. Goldbergs Blick wechselte zwischen den Frauen hin und her. Manchmal schreibt das Leben die besten Geschichten, dachte er. Unterschiedlicher hätten sie nicht sein können, obwohl die Ungleichheit nicht so sehr im Alter lag. Richard hatte sich nach dem plötzlichen Tod seiner Frau schnell mit Tochter einer seiner Angestellten getröstet. Maria und Martha. Wie in der Bibel. Sanft weich und blond, die Eine. Hart, dunkelhaarig und mit wildem Blick, die Andere. Über die Beziehung der Eheleute und das Verhältnis der beiden Frauen zueinander war der Öffentlichkeit und auch der Polizei nichts weiter bekannt. Der Bauunternehmer hatte sein Privatleben fest unter Verschluss gehalten.
Als der Kommissar Martha erklärte, dass er im Gehen sei und sich gerade von ihrer Mutter verabschieden wolle, erntete er nur ein verächtlich hingeworfenes Wort. "Stiefmutter". Sie spie es geradezu aus. Goldberg warf der Witwe einen mitfühlenden Blick zu, die unter dem Wort zusammengezuckt war.
"Was werden Sie jetzt tun?", fragte er mit sanfter Stimme.
Ein Seufzen folgte. "Mein Mann hat ein Anwesen in der Toskana, dorthin werde ich mich zurückziehen, bis ich die ganze Sache verarbeitet habe."
"Und nach und nach alles Wertvolle verkaufen!", höhnte Marthas Stimme durch den Raum. "Glaub ja nicht, dass ich dir das durchgehen lasse. Ich werde dich begleiten und ein Auge auf dich haben."
Goldberg bekam ein ungutes Gefühl im Magen. Natürlich würde es einen unerbittlichen Streit ums Erbe geben. Da wollte er nicht mit hineingezogen werden, selbst für so ein feenhaftes Wesen wie Maria nicht. Er verabschiedete sich schnell und lies die Frauen allein.
Auf der Straße warf er noch einen letzten Blick zurück zum Haus. Vielleicht war es Einbildung, aber er glaubte Maria Richard hinter einem der Fenster zu erkennen. Sie tat ihm leid. So eine Stieftochter hatte sie sicher nicht verdient. Aber das war nicht sein Problem. Er schüttelte den Kopf, startete sein Auto und fuhr los.
Dem davonfahrenden Wagen folgten nicht zwei, sondern vier Augen. Martha stand dicht hinter Maria und legte ihr besänftigend die Hände auf die Schultern, als diese seufzte.
"Es ist überstanden. Jetzt lass uns abhauen!" Die blonde Frau nickte, eilte ins Nebenzimmer, zog ihr Kleid aus und warf es achtlos in einen Koffer. Dann stieg sie in Jeans und Sweatshirt und war jetzt ähnlich gekleidet wie ihre Stieftochter. Sie nahm den Koffer und eilte in die Garage.
Martha wartete auf der Rückbank des Mercedes und lächelte ihr aufmunternd zu. "Es bleibt alles wie abgesprochen." Als Maria das Gepäck verstaut hatte und den Motor startete, warf sich die Andere die bereitgelegte Decke über den Kopf und wurde für eventuelle Beobachter unsichtbar. Das Garagentor öffnete sich automatisch, der Wagen verließ das Gelände und fuhr Richtung Autobahn. Die Fahrerin wählte die Auffahrt in Richtung Süden. Auf der Rückbank blieb es still. Nach fast einhundert Kilometern fuhr das Auto ab und bog auf eine Landstraße in Richtung Osten ein. Martha hatte sich inzwischen aufgesetzt und die Decke beiseitegelegt. Die beiden Frauen sprachen immer noch kein Wort.
Eine Stunde später brach Maria das Schweigen. "Hier?", fragte sie leise. Martha nickte. Als ihr einfiel, dass man das beim Autofahren nicht sehen konnte, flüstere sie: "Ja. Dort ist das REWE-Schild. Jetzt drück bloß die Daumen, dass das Auto noch da ist." Ihre Stimme war heiser vor Aufregung. Als sie den grauen Skoda auf dem Parkplatz entdeckte, seufzte sie vor Erleichterung.
Maria bog in die Einfahrt und warf ihr einen aufmunternden Blick über den Rückspiegel zu. "Ich habe es doch gesagt. Wer klaut schon Skodas?"
Die beiden Frauen griffen nach den Basecaps, die auf dem Beifahrersitz lagen, zogen die Schirme ins Gesicht und versteckten ihre Augen hinter großen Sonnenbrillen. Nun hätte man sie glatt für Schwestern halten können, denn ihre Haare waren vollständig unter den Kopfbedeckungen verschwunden. Marias Bluterguss war durch diese Vorsichtsmaßnahmen kaum noch zu erkennen. Sie verließen den Mercedes, ohne ihn abzuschließen, und schlenderten auf den Supermarkt zu. Anstatt hineinzugehen, bogen sie jedoch um die Ecke und fütterten den dort aufgestellten Automaten mit Kleingeld um Kaffee und Schokonüsse zu ziehen.
Sie setzen sich in den Schatten auf eine Mauer und beobachteten den Betrieb auf dem Parkplatz. Wieder war es Maria, die zuerst etwas sagte. "Lass uns fahren."
Martha nickte und fischte einen Autoschlüssel aus ihrer Jeans, den sie ihrer Begleiterin reichte. Beide gingen ohne Eile zu dem Skoda und stiegen ein. Maria fuhr vom Parkplatz und lenkte das Auto in Richtung Norden, während ihre Begleiterin eine Aldi-Tüte unter dem Sitz hervorholte.
Beide seufzten erleichtert auf, als sie sahen, dass der Inhalt noch unversehrt war. "Das war ganz schön riskant, zwei nagelneue Pässe und eine halbe Million Euro über Nacht auf einem Parkplatz stehen zu lassen, von dem bekannt ist, dass dort ständig Autos verschwinden."
Maria grinste. "Ich kann mich nur wiederholen, wer klaut schon Skodas. Unser Mercedes wird sicher nicht lange allein bleiben."
Martha nickte erleichtert, holte ein mobiles Navigationsgerät aus dem Handschuhfach und schloss es an. "Wie heißt der Ort, wo wir hinwollen?"
"Kiruna."
Kopfschüttelnd folgte die Antwort. "Warum musstest du unbedingt ein Haus am Polarkreis kaufen?"
"Weil ich so weit weg wie möglich wollte, ohne dass wir in ein Flugzeug steigen müssen."
"Du hast ja Recht. Es liegt so weit weg von allem, was man je mit diesem Menschen in Verbindung bringen würde. Niemand wird uns finden. Und niemand wird dir je wieder wehtun." Sie legte die Hand sanft auf Marias verunstaltete Wange.
Die Fahrerin warf ihrer Beifahrerin ein Lächeln zu: "Niemand wird uns je wieder wehtun." Sie trat aufs Gas und der Skoda machte sich tapfer brummend auf den Weg zur A 24.

3. Fantasy

Lin Lin kletterte voller Angst auf einen Baum. Was sie sah, erfüllte sie mit Entsetzen, aber sie konnte ihren Blick nicht abwenden. Durch ihr Heimatdorf, das bis vor kurzem noch friedlich im Abendsonnenschein gelegen hatte, zog eine marodierende Horde auf riesigen Pferden? Waren es Menschen oder waren es Ungeheuer? Das Mädchen konnte sich diese Frage nicht beantworten, denn die Reiter trugen Masken, deren furchterregende Züge miteinander wetteiferten. Dieser Anblick wurde jedoch von den Taten der Eindringlinge übertroffen. Mit wildem Gebrüll metzelten die Fremden alles nieder. Dabei war es gleich, ob sich einige der Dorfbewohner ihnen zum Kampf entgegenstellten, oder ob sie flüchtend versuchten, ihr Leben zu retten. Es gab kein Entrinnen. Männer, Frauen, Kinder fielen blutend in den Staub. Aber auch die Hunde, Hühner und das andere Vieh wurden nicht verschont. Alles starb unter den wütenden Schwerthieben. Als sich nichts Menschliches mehr regte, brüllte der Anführer einen heiseren Befehl. Daraufhin warfen die Mörder brennende Fackeln auf die Strohdächer der Dorfhütten und trieben die letzten überlebenden Wasserbüffel zusammen. Singend und von ihrer blutigen Tat berauscht, machten sie sich im flackernden Schein des brennenden Dorfes auf den Weg. Sie schienen im Nichts zu verschwinden, aus dem sie gekommen waren.
Lin Lin wagte lange nicht, ihren schützenden Baum zu verlassen. Tränenlos sah sie zu, wie ihr Heimatort in Schutt und Asche versank. Erst als die Sonne über dem Tal aufstieg kletterte sie hastig vom Baum. Es war ihr egal, dass sie sich dabei ihr Kleid mit der hübschen Pflaumenblütenstickerei zerriss. Sie hatte es angezogen, weil sie sich heimlich mit Win Tsun treffen wollte. Die beiden waren schon seit einiger Zeit ein Paar. Heute Abend wollten sie besprechen, wann der junge Mann zu ihrem Vater gehen solle, um die Hand von Lin Lin zu erbitten.
Win Tsun war einer der Ersten gewesen, den die Schwerter der Eindringlinge zu Boden streckten. Todesmutig stellte er sich ihnen in den Weg. Doch mit seiner Mistgabel hatte er nicht die geringste Chance. Lin Lin biss sich auf die Fäuste, um nicht zu schreien, als sie den ungleichen Kampf vom Baum aus beobachtete. Doch dann ließ sie die Hände sinken. Nachbar um Nachbar, Freund um Freund sank zu Boden. Ihre Mutter, ihr Vater, die kleinen Schwestern. Niemand entkam den Mördern.
Im Morgenlicht wankte sie zwischen den schwelenden Aschehaufen umher, die sie einmal Heimat genannt hatte. Was sollte sie tun? Wo sollte sie hin? Lähmendes Entsetzen griff nach ihrem Herzen und presste den Magen zusammen. Sie musste sich übergeben. Während sie noch würgte, hörte sie ein leises Stöhnen. Mit dem Handrücken wischte sie sich den Mund ab und folgte den Lauten. Unter dem halbverkohlten Dach eines Stalles fand sie eine alte Frau. Komisch. Sie kannte alle Dorfbewohner, aber diese Alte hatte sie noch nie gesehen. Trotzdem wollte sie ihr die notwendige Hilfe nicht versagen. Unter Anstrengung aller Kräfte zog sie die Verletzte unter den Trümmern hervor.
"Danke mein Kind", flüsterte diese.
"Keine Sorge, Mütterchen", sprach Lin Lin beruhigend auf sie ein. Natürlich sah sie, dass der Frau nicht mehr zu helfen war, aber sie wollte ihr wenigstens die letzten Stunden erleichtern. "Ich gehe und hole dir Wasser. Dann wird es dir sicher gleich besser gehen. "
Als sich das Mädchen abwenden wollte, griff die Alte nach ihr. Seltsam. Ihre Hand war stark und kräftig, gar nicht so wie bei einer Sterbenden. Die Frau zog sie nahe zu sich heran und flüsterte: "Gehe zu den Mondbergen und gib dem Mönch, der unter dem großen Felsen sitzt, dieses Amulett von mir. Sag ihm, der Jadeprinz hätte es jetzt endgültig übertrieben. Sag ihm auch, dass ich dich schicke, damit er dich lehrt, diesen Mörder zurechtzuweisen." Während dieser Worte hatte sie eine kleine Jadetafel, in die ein  Phönix eingeritzt war, aus ihrer Tasche gezogen und überreichte sie Lin Lin.
Zögernd griff diese danach. "Hilf mir, mich aufzurichten", befahl die Alte. Das Mädchen gehorchte und wunderte sich noch einmal. Für so eine klapprige, dürre Frau war sie unheimlich schwer. Wie hatte sie es nur geschafft, diese Last unter dem Stalldach hervorzuziehen? Doch ehe sie sich darüber Gedanken machen konnte, verlangte die Verletzte stöhnend nach Wasser. Lin Lin sah sich um. Worin sollte sie Wasser holen? Alle Gefäße waren verbrannt, zerschlagen oder unter den eingestürzten Häusern begraben. Die alte Frau schien ihre Gedanken zu erraten, griff erneut in ihre Tasche und holte eine bemalte Teetasse hervor, die sie ihr reichte. Das Mädchen griff danach und eilte zum Fluss.
Als sie zurückkam, war die Alte verschwunden. Wie sehr sie auch rief und suchte, sie fand die Frau nicht mehr. An der Stelle, an der sie die Verletzte verlassen hatte, lag eine glänzende Feder. Lin Lin konnte sich nicht vorstellen, von welchem Vogel sie stammte. So eine Feder hatte sie noch nie gesehen. Als ihr Blick auf die Teetasse fiel, die sie immer noch in den Händen hielt, schüttelte sie erstaunt den Kopf. Das Bild auf dem Gefäß zeigte einen Phönix, der mit einer Schlange kämpfte. Die Federn dieses Vogels glichen der, die sie auf dem Platz der verschwundenen Alten im Staub gefunden hatte.
Was hatte das alles zu bedeuten? Und was sollte sie jetzt tun? Lin Lin sah sich mit brennenden Augen um. Hier war niemand mehr am Leben. Ihr Dorf gab es nicht mehr. Und so war es wohl am besten, wenn sie sich tatsächlich auf den Weg in die Mondberge machte. Es war gleich, was sie dort erwartete. Hier gab es keine Zukunft für sie.